Montag, 29. September 2014

BIP Trends in den USA und der Eurozone

Die Grafik ist von Brad Delong, der sie zu einem Kommentar von Josef Stiglitz zu den "europäischen Austeritätszombies" als Illustration einfügt. Sie zeigt eine dramatische Seitwärtsbewegung bei der BIP Entwicklung in der Eurozone seit der Krise (trotz des Eingreifens der EZB). Die Entwicklung in der Zone ist in den letzten Jahren deutlich schlechter als in den USA. Stiglitz schreib dazut:
Austerity has failed. But its defenders are willing to claim victory on the basis of the weakest possible evidence: the economy is no longer collapsing, so austerity must be working! But if that is the benchmark, we could say that jumping off a cliff is the best way to get down from a mountain; after all, the descent has been stopped.
But every downturn comes to an end. Success should not be measured by the fact that recovery eventually occurs, but by how quickly it takes hold and how extensive the damage caused by the slump.
Brad Delong, meint dazu, dass die Ökonomen ihre Überzeugung auf dem Marktplatz der Ideen marktnah bewerten lassen sollten. Sie sollten dann auch auch argumentieren warum ihre Prognosen nicht eingetreten sind  (z.b. Quantitative Easing führt zu Inflation, Austerität führt zu Wachstum etc.) bzw. was dazu geführt hat, dass sie ihre Einschätzungen revidiert hatten. Simon Wren-Lewis argumentiert, es gehe nicht nur darum was Ökonomen sagen, der öffentliche/journalistische Diskurs kann auch davon beeinflusst sein, weil zu wenige Ökonomen eine wichtige Rolle spielen.

Auf jeden Fall hat es einiges mit einer systematischen Überschätzung von Anreiz-Effekten und einer systematischen Unterschätzung von (negativen) Multiplikatoreffekten in einer Krise zu tun. Viele polit-ökonomische Statements beginnen damit, dass eine koordinierte fiskalpolitische Aktion auf europäischer Ebene nicht möglich/wünschenswert sei, weil die Interessen der Länder zu heterogen sind. Daraus wird gefolgt, dass Austerität die einzige Möglichkeit für Europa ist oder auch die Auflösung der Währungsunion. Während ich selbst das auch hin und wieder so gesehen haben (und manchmal immer noch so sehe), muss auch gesagt werden, dass diese Erkenntnis viel zu selten Ausgangspunkt für eine Suche nach vernünftigen und machbaren Alternativen war.



Freitag, 26. September 2014

Buchpreisbindung gegen die Tyrannei des Marktes?

Kurier, Standard (1,2) und Presse (1) berichten vom Vorhaben die Buchpreisbindung auch auf e-books auszuweiten. Der Standard schreibt:
Laut Ostermayer ist es "im Sinne der Vielfalt" wichtig, "Bücher zu schützen und ein Marktumfeld zu schaffen, das eine hohe Anzahl an Verlagen und Veröffentlichungen ermöglicht". Bis zum Weihnachtsgeschäft soll das Gesetz dahingehend geändert werden, "dass E-Books ausdrücklich in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes aufgenommen und die Ausnahme des grenzüberschre itenden elektronischen Handels gestrichen werden", so die Novelle im Wortlaut.
Aber ist das wirklich eine gute Idee, wenn wenige (Autoren, Verlage, grosse Buchhändler) auf Kosten vieler (Buchkonsumenten) besser gestellt werden? Wie Wikipedia schreibt gibt es in 11 europäischen Ländern Buchpreisbindungen, d.h. 17 Länder habe keine derartige Marktregulierung.

Was soll eine Buchpreisbindung erreichen? Die Befürworter bringen zumeist kulturelle Argumente vor. Ohne Buchpreisbindung würde würden weniger Bücher angeboten und Nischenprodukte würden zugunsten von Bestsellern verdrängt. Mit Buchpreisbindung würden Bestseller Nischenprodukte quersubventionieren und damit hochwertige Bücher produziert.

Allerdings gibt es dafür keine Garantie. Es müssen ja nicht die Bestsellerverlage jene sein, die Nischenprodukte auf den Markt bringen. Daher ist nicht sichergestellt, dass die "Monopolgewinne" für kulturell hochwertige Bücher verwendet werden. Der Buchhandel und die Autoren argumentieren, dass die Buchpreisbindung "ruinösen" Wettbewerb unterbindet und eine größere Vielfalt von Verlagen und Buchhändlern am Leben erhält und Autoren ein höheres Einkommen ermöglicht.

Aber stimmt das wirklich, dass eine Aufhebung der Buchpreisbindung zu einer Reduktion der Vielfalt führt? Verfügbare Studien sagen großteils nein. Nach dem Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz lies sich kaum was beobachten, ebenso wenig in Großbritannien wo die Buchpreisbindung 1997 fiel. Hanreich et al. argumentieren dass die Buchpreisbindung wegen hoher Fixkosten gerechtfertigt sein könnte, weil dann kulturelle Vielfalt bestehen bleiben kann. Allerdings wurde diese Studie vor dem Aufkommen von Amazon und e-books geschrieben. Heute sind kleine Buchhändler sind ohnehin nur dann gegen die online-Konkurrenz wettbewerbsfähig wenn sie über spezifische Kompetenzen verfügen. Es wird sogar argumentiert, dass die Buchpreisbindung in Deutschland Amazon subventioniert hat. Diese Kartellgewinne gehen auf Kosten der Konsumenten, die wegen der höheren Buchpreise wahrscheinlich weniger Bücher gekauft haben. Wahrscheinlich weniger Bestseller aber nicht nur. Amazon kann dadurch den Versandhandel mit anderen Produkten als Büchern quersubventionieren.

Somit erscheint die Buchpreisbindung nicht unbedingt die richtige Form zu sein um agressive Internethändler im Zaum zu halten. Hier kann letztlich nur das Wettbewerbsrecht helfen und keine Buchpreisbindung der Welt. Dies gilt insbesondere für e-books. Diese können ja auch von Internethändler oder gar Autoren selbst gemacht werden. Denn es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen e-books und normalen Büchern. Der Druck führt dazu, dass die Produktion von Büchern durch hohe Fixkosten charakterisiert ist. Es braucht Verleger und eine  relativ kostspielige und schwer zu organisierende Logistik . Dagegen hat die Produktion von e-books viel geringere Fixkosten. die Funktion des Verlegers, der die Vorselektion von Büchern übernimmt fällt im Internetzeitalter weg und der Vertrieb kann im Notfall auch über e-mail erfolgen. Andere Informationsbrooker können die Funktion der Verleger übernehmen, ohne dass sie unbedingt mit der Produktion von Büchern betraut sind. Das zeigt, dass die Ausweitung der Buchpreisbindung kaum ein wirksames Mittel gegen die Veränderung in der Buchproduktion ist. Wie der Standard schreibt hat Ostermayer (Bundesminister für Kunst, Kultur und Median) auch vor dies direkte anzugehen:
Im "Kurier" kündigt Ostermayer eine Anhebung der Verlagsförderung um zehn Prozent von zwei Millionen auf 2,2 Millionen Euro im Jahr und eine Ausweitung von Projektstipendien für Literaten von 40 auf 50 an.
Ich traue mich zu wetten, dass dies letztlich nur dazu führt, dass weiter Bücher gemacht werden, die ohnehin gemacht würden und Verleger größere Autos fahren (teuerere Kleider kaufen können sofern sie ohne Auto auskommen) können als ohne Förderung. Denn alle Subventionen (Buchpreisbindung oder direkte Förderung) führen zur Umlenkung von Ressourcen und zu Mitnahmeeffekten. Von einer Schinkenpreisbindung oder einer CD-Preisbindung redet keiner, dabei sind diese Artefakte auch kulturell hochwertige Produkte. Für die Vielfalt der Produktion sorgt die Nachfrage sofern die Fixkosten nicht zu einer tyranny of the market führen, wie von Joel Waldfogel für Bibliotheken, Restaurants und Radio nachgewiesen wurde.

Das e-book führt zu einem technologischen Wandel bei der Buchproduktion, wie er schon in der Musikwirtschaft eingetreten ist. Joel Waldvogel (ja schon wieder der) schreibt über die Digitalisierung im Musikbereich:

Although recorded music revenue has collapsed since the explosion of file sharing, results elsewhere suggest that the quality of new music has not suffered. One possible explanation is that digitization has allowed more firms to bring music to market using lower-cost methods of production, distribution, and promotion. Forces increasing the number of products released may allow consumers to discover more appealing choices if they can sift through the offerings. Digitization has promoted Internet radio and online music reviewers, providing alternatives to radio airplay as means for new product discovery. To explore this, the author assembles data on new music released between 1980 and 2010, and on particular albums’ sales, airplay on traditional and Internet radio, and album reviews at Metacritic since 2000. He documents that the total quantity of new albums released annually has increased sharply since 2000, driven by independent labels and purely digital products. Second, increased availability has been accompanied by reduced concentration of sales in the top albums. Third, new information channels change the number and kinds of products about which consumers have information. Fourth, more albums find commercial success without substantial traditional airplay. Finally, independent label albums account for a growing share of commercially successful albums.

Der technologische Wandel hin zu einer Produktionsstruktur mit geringeren Fixkosten (online statt CD oder Platte) hat zu einer geringeren Konzentration (Bestseller), mehr Diversität im Angebot und damit zu mehr unterschiedlicher Musik für Konsumenten geführt. Nur die grosse Musikindustrie leidet drunter, während exotische Interpreten, Autoren und Konsumenten Vorteile haben, sofern sie diese nutzen wollen und können.

Könnte es daher nicht auch so sein, dass die Konsumenten aufgrund niedrigerer Buchpreise (fehlende Buchpreisbindung) mehr und unterschiedlichere Bücher kaufen? Vielleicht auch solche österreichischer Autoren? Die Idee von Quersubventionen auf der Angebotsseite ist in der Regel der Konsumentensouveränität unterlegen. Niedrigere Preise könnten auch die Tendenz zum Zweit(e-)buch stärken.

Donnerstag, 25. September 2014

Die langfristige Verschiebung der Kreditvergabe von Banken hin zu Immobilienkrediten


Auf FT-Alphaville diskutiert Matthew Klein die Bedeutung von Kredit für Wirtschaftskrisen. Dabei wird vor allem auf das Arbeitspapier von Jorda, Schularik und Taylor Bezug genommen, die auf Basis von 200 Rezessionsepisonden in 14 Ländern zeigen dass a) Finanzkrisen höhere Outputverluste aufweisen als normale Rezessionen und b) dass auf kredit-intensive Expansionen in der Regel tiefere und längere Rezessionsepisoden folgen.

In diesem Zusammenhang ist die Veränderung der Kreditvergabe von Banken interessant. Wie Klein zeigt, veränderte sich für die meisten Länder die Kreditvergabe von Banken von der Kreditvergabe an Unternehmen hin zum Immobiliensektor. Während die Veränderungen für Finnland, Dänemark, Schweden sowie Deutschland weniger dramatisch sind, zeigt sich für andere Länder (Frankreich, Italien, UK, Japan und Spanien) eine deutliche Verschiebung zum Immobiliensektor. Hier ist die Darstellung:
Im Text wird das kritisch gesehen vor allem weil diese Expansion nicht durch die Entwicklung der Hauspreise gedeckt ist (zumindest in den angloamerikanischen Ländern).

Allerdings sollte dies nicht nur im Kontext von Krisen. Blasen und anderen nicht nachhaltigen Positionen der Finanzwirtschaft gesehen werden, wie im Beitrag von Klein geschieht. Diese Expansion kann auch etwas mit langfristigen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur zu tun haben (Unternehmen haben geringeren Investitionsbedarf wegen geringerer Opportunitäten, Oligpolisierung der Wirtschaft, Verschiebung hin zu intangiblen Anlagegütern die nicht gut durch Bankkredite finanziert werden können, Einführung der Eigenkapitalregulierung, niedrige Eigenkapitalunterlegung von Banken 2007 im Vergleich zu 1928 usw.) oder mit der positiven Seite von Kredit. Kredit ermöglicht es jenen die noch kein Geld haben Investitionen jetzt zu tätigen und morgen dafür zu zahlen. Die zentrale Funktion eines funktionierenden Bankensystems ist es Ersparnisse in Investitionen zu verwandeln. Die Verschiebung hin zum Immobiliensektor ist eine interessante Tatsache, die in vielen Diskussionen um die Kreditvergabe von Banken leider selten aufgegriffen wird (zumindest habe ich auf die Schnelle nichts gefunden).

Diese interessanten Zahlen sagen wenig darüber aus ob Finanzsysteme fragil oder stabil sind. Aggregierte Zahlen bieten Anhaltspunkte, aber um präzise interpretierbar zu sein braucht es oft Mikroanalysen auf Basis von Daten zu Banken, Krediten und Kreditnehmern. Für Österreich gibt es da die Finanzmarktstabilitätsberichte der OeNB. Albacete und Lindner haben hierzu festgestellt, dass in Österreich die Haushalte kaum eine Gefahr für die Bankenbilanzen und die Finanzmarktstabilität darstellen, sofern nicht nachfragewirksame Effekte der Überschuldung auftreten. So eine Geschichte erzählen Sufi und Mian überzeugend für die Finanzkrise in den USA. Aber das ist eine andere Geschichte ...

Dienstag, 23. September 2014

Ist Österreich wirklich auf einem Schlag um drei Prozent gewachsen? (Wowcwhabpc)

Auf der Standardhomepage überschlagen sich sich die Posts zum Artikel zur BIP-Umstellung mit dem Titel Österreich wächst auf einen Schlag um 9,5 Milliarden Euro in unglaublichen Argumentationen. Zurück zum Artikel Lukas Sustala schreibt:
Die Konjunkturlage trübt sich ein, doch die Statistik Austria hat am Montagabend der heimischen Wirtschaft zumindest einen statistischen Schub verpasst. Die Wirtschaftsleistung Österreichs lag gemäß der neuen Berechnung im Jahr 2013 bei 322,6 Milliarden Euro. Das sind um 9,5 Milliarden Euro mehr als mit der alten Berechnung. Damit macht das BIP einen statistischen Sprung von drei Prozent.
Die Presse ist da weniger kreativer und druckt den Text der APA ab wo steht:
Neue EU-Standards bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts erhöhen Österreichs Wirtschaftsleistung auf einen Schlag um 9,5 Milliarden Euro auf 322,6 Mrd. Euro im Jahr 2013. Unter anderem werden nun auch Ausgaben für Forschung & Entwicklung von der Statistik Austria als Investitionen miteinberechnet. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in Österreich von jährlich 1,9 Prozent zwischen 1995 und 2013 bleibt trotz Neuberechnung unverändert. Das errechnete BIP-Wachstum für das Vorjahr senkte die Statistiker um 0,1 Prozentpunkte auf 0,2 Prozent. 2012 blieb das BIP-Plus unverändert bei 0,9 Prozent, 2011 wurde es um 0,3 Prozentpunkte auf 3,1 Prozent angehoben.
Also es ändert sich das Berechnungssystem aber nicht die Wachstumsraten. Die Antwort ist also nein. Manchmal scheint journalistische Kreativität leider ein bisschen ein Feind der Wirklichkeit zu sein.

Wie die  Kurzzusammenfassung vom deutschen Statistikinstitut Destatis zeigt sind die wichtigsten Anderungen:
  • Forschungs- und Entwicklungsausgaben werden nicht mehr als Vorleistungen sondern als Investitionen betrachtet. Diese Änderung trägt der Tatsache Rechnung dass intangible Investitionen wie Forschung und Entwicklung heute genauso wichtig sind wie tangible Investitionen (Häuser, Maschinen oder betrieblich genutzte Fahrzeuge). 
  • Auch militärische Güter zählen nun als Investitionen. In Österreich nicht so wichtig, wie die Diskussion  ums Miltärbudget zeigt. 
  • Umklassifikation von Marktproduzenten zum Sektor Staat (in Österreich z.b.  ÖBB, Wiener Linien, einige Krankenhäuser). Dies führt zu einer Erhöhung, denn der Produktionswert wird im Sektor Staat mit den Kosten bewertet und nicht mit den subventionierten Marktpreisen. Dafür werden auch die Schulden zum Sektor Staat gezählt.
Das zeigt, dass die Revision nicht viel mit "Schönrechnen" zu tun hat, sondern mehr damit, dass das BIP die Wirtschaftsleistung besser darstellen kann. Auch im internationalen Vergleich. Was würde es uns nützen, wenn jedes Land sein BIP so berechnen würde wie es gerade opportun wäre. Kaum ein Vergleich wäre mehr möglich.

Die Frage, welche kritischen Stimmen zur Umstellung selten beantworten können, ist jene was durch das BIP gemessen werden soll. Steuerquoten können das nicht sein, ebensowenig Steuerquoten. Letztlich ist das BIP genauso wie die Zeitmessung ein Messkonzept mit verbundenen Standards. Nur wird nicht die Zeit sondern die Wirtschaftsleistung von Ländern gemessen. Wenn wegen einer Standardänderung die Sekunde plötzlich länger dauern würde, dann würde auch keiner behaupten, dass man jetzt schneller 100 Meter laufen kann.

Wie sich die Schuldenquote ändert, hängt davon ab was alles zum Sektor Staat dazugerechnet wird. Die Methodiker erwarten für Österreich ein ansteigen der Schuldenquote weil bisher privat klassifizierte Schulden als Staatsschulden gezählt werden. Dass die Schuldenquote der Hauptkritikpunkt der Kritiker zu sein scheint ist insofern erschreckend, als die Kritik sich nicht daran entzündet was mit dem BIP gemessen werden soll sondern nur eine Wirkung der Änderung kritisiert wird.

Was soll das BIP messen und wie soll es im Detail gemessen werden? Darüber liese sich vortrefflich argumentieren und streiten. Für Interessierte hat Eurostat die Dokumentation. Ohne die 778 Seiten gelesen zu haben würde ich sagen mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung soll die Entstehung, Verteilung und Verwendung die gesamte Wirtschaftsleistung real und nominell gemessen werden. Dazu gehörten letztlich auch illegale Aktivitäten, denn die führen ebenso zu Produktion, Einkommen und Konsum. Sollte was anderes gemessen werden, könnte man ja ein Brutto Staatsrelevantes Produkt oder ein  Brutto Schuldenrelevantes Produkt erfinden. Dieses wäre dann ein bisschen ein anderes Getier der offiziellen Statistik.

Sonntag, 21. September 2014

Synchrones Steursenken gegen die Krise?

Nachdem ich mich immer schwer mit der Vorstellung getan habe, wie ein fiskalpolitischer Impuls in Europa aussehen könnte, kommt jetzt ein ziemlich konkreter Vorschlag von den italienischen Ökonomen Giavazzi und Tabellini auf VoxEU.

Bei Fiskalpolitik dachte ich immer an größe Investitionsprogramme und Betonkeynesianismus (große staatliche Infrastrukturinvestitionen), der nicht immer angemessen und zielführend ist. In Zeiten wo Unternehmen wegen geringer Nachfrageerwartungen nicht investieren hat Investitionsförderung (Zuschüsse und Liberalisierung) hohe Kosten und geringe Effekte. Unternehmen nehmen die Förderung mit, investieren deshalb aber nicht mehr. Bei grossen Investitionsprojekten gibt es das Problem, dass viele Projekte kapitalintensiv sind und damit geringe unmittelbare Konjunktureffekte erzielen.

Giavazzi und Tabellini denken an Steuersenkungen. Steuersenkungen haben auch den Vorteil, dass sie im weniger für Fehlallokationen führen als Investitionsprogramme, wo Interessensgruppen stärker lobbyieren können (auch wenn Bauinvestitionen höhere Multiplikatoren zu haben scheinen).  Sie schlagen eine konzertierte Aktion von Steuersenkungen in den Euroländern vor. Sie starten von einer Diagnose die sich in ihrer kürze kaum unterbieten lässt Ende 2013 war:
  • Private consumption in the Eurozone was 2% below its 2007 level;
  • Private investment was 20% below the 2007 level;
  • Producers’ prices have been decreasing for over a year.
  • The only bright spot is the rise of exports by almost 10% since late 2013.
  • In the US, by contrast, GDP and private consumption are 6–7% above where they were six years ago, and investment too is above its pre-crisis level.
Diese Zahlen verdecken massive Heterogenitäten zwischen den Euroländern, wo es Österreich und Deutschland gut geht, während die Peripherie deutlich schlechter dasteht. Giavazzi und Tabellini argumentieren, dass die Europäischen Probleme primär auf eine Nachfrageschwächung in Folge der Krise 2008 zurückzuführen sind. Ihr Vorschlag ist einfach:
  • Alle Eurozoneländer sollen synchron eine Steuersenkung im Ausmaß von 5% des BIP durchführen. 
  • Den Ländern soll einige Jahre Zeit gegeben werden (drei bis vier) um das mit der Steuersenkung verbundene Defizit zu reduzieren (Wachstumseffekte, kalte Progression und Ausgabeneinsparungen). 
  • Um diese zusätzlichen Defizite während der Überganszeit zu finanzieren sollen die Mitgliedsstaaten langfristige Staatsanleihen ausgeben. 
  • Die EZB soll diese Staatsanleihen kaufen, ohne eine Sterilisation vorznehmen.
  • Die Zinsen sollen den EZB Eigentümern (Nationalbanken) als Seinorage zurückgegeben werden. 
Die Kombination von geldpolitischen und fiskalpolitischen Maßnahmen ist nach Giavazzi und Tabellini  einer reinen monetären Maßnahme überlegen (wie zum Beispiel Quantitative Lockerung). Sie argumentieren, dass die Quantiative Lockerung kaum zu zusätzlichen Krediten und privaten Ausgaben führen wird. Andererseits wären fiskalpolitische Impulse ohne geldpolitische Unterstützung unmöglich, weil die Staatsschulden vieler Länder bereits am oberen Limit sind.

Indirekte günstige Effekten wären auch ein schwächerer Wechselkursen, von denen die Europäische Exportindustrie profitieren würde. Die sich insgesamt daraus sich ergebende Inflation würde 
dazu beitragen den privaten und öffentlichen Schuldenüberhang abzufedern und der EZB dabei helfen das Inflationsziel von 2 % europaweit zu erreichen und  vielleicht kurzfristig drüberzuschiessen.

Wie Giavazzi und Tabellini  ausführen, ist das wichtigste Argument gegen eine solche Politik nicht ökonomisch sondern politisch. Die Diskussion über Multiplikatoren besagt, dass diese in Krisenzeiten besonders hoch sind (1). Deutschland (und wahrscheinlich/sicher auch Österreich) würden sich gegen eine solche Politik stellen weil sie gegen die in den Verträgen dargelegt grundlegende Idee der Trennung von Geld- und Fiskalpolitik verstößt (Schimpfwort: Transferunion) oder weil deutlich niedrigere Steuern auch Ausgabeneinsparungen im Sozialbereich zur Folge haben könnten. Ob Giavazzi und Tabellini da ein bisschen zu italienisch sein könnten, sei mal übersehen. Einsparungen bei Ausgaben werden nie gern gesehen, weil trotz aller Verwaltungsreformdiskussion, letztlich nur Leistungseinschränkungen kurz- wie langfristig zu nachhaltige Einsparungen führen werden.

Alternativen sehen sie aber im Moment keine. Ohne entschiedene Aktion würde die Eurozone würde weiterhin keinen nachhaltigen Konjunkturaufschwung sehen.

Diesen Vorschlag könnte im österreichischen Kontext auch deswegen sinnvoll diskutieren, weil ohnehin über eine Steuerreform nachgedacht wird, bei der ein Teil der Gegenfinanzierung aus Ausgabeneinsparungen kommen wird. Ob dann eine Umschichtung der Steuern (Vermögenssteuern) mittelfristig auch eine Rolle spielensoll, kann dann jedem Mitgliedsstaat offen gelassen werden. Idealerweise öffnet so eine Steuersenkung auch Möglichkeiten Strukturreformen anzugehen, die in Zeiten der Austärität nicht durchführbar sind, weil sie Charakteristiken von Konsoldierungspaketen aufweisen.









Mittwoch, 17. September 2014

Steuerreform, Selbstfinanzierung und Wirtschaftswachstum

Kaum jemand mag Steuern zahlen. Auch ich nicht. Und noch weniger mag man die kalte Progression, die Jahr für Jahr die Steuersätze antreibt. Interessanterweise wird sie gerade jetzt thematisiert, wo die Inflation im langfristigen Vergleich eh unterdurchschnittlich ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Wenn ein Steuersystem nicht inflationsindexiert ist, dann gibt es immer wiederkehrende Diskussionen um die Steuerreformen, die allein dem Ausgleich der kalten Progression dienen.

Wie jetzt wieder in Österreich. Einige fordern Steuerreformen, wo der Ausgleich der kalten Progression auch zu mehr Gerechtigkeit bei der Einkommensverteilung führen soll. Die jetzt vorgelegten Vorschläge von AK und ÖGB gehen in diese Richtung. Den Informationen aus den Zeitungen entnimmt man, dass es vor allem um die Entlastung kleinerer Einkommen gehen soll. Der ÖAAB dagegen möchte seine Mitglieder, d. h. den Mittelstand entlasten. Bei der Gesamtbetrachtung sollte man auch immer die Sozialabgaben mit einbeziehen (1).

Steuerreformen brauchen trotz kalter Progression Gegenfinanzierung. Nach ÖGB Vorschlag sollen die 6 Mrd. Steuereinsparungen (von ca. 43 - 45  Mrd. Einkommenssteuern) durch Vermögenssteuern (2 Mrd.), Verwaltungsreformen und das Abschaffen von Steuerprivilegien (2 Mrd.) und dem Kampf gegen die Schattenwirtschaft (1 Mrd.) finanziert werden. Keine Ahnung ob dies realistisch ist. Auch die Steuerreform selbst soll dazu was beitragen Wie der Kurier schreibt soll rund eine Milliarde der rund 6 Mrd. Steuerersparnisse durch die Steuerreform selbst finanziert werden.

Allerdings positionieren sich der ÖVP Wirtschaftsbund und der ÖAAB weiterhin gegen Vermögenssteuern. Ulrich Schuh vom industrienahen Forschungsinstitut ecoaustria spricht auch davon, dass eine Steuerreform auch obere Einkommen entlasten müsse damit sich eine positive Wirkung aufs Wirtschaftswachstum ergeben kann.

Aber haben Steuerreformen wirklich große Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum? Es wird manchmal argumentiert, dass niedrigere Steuern das unternehmerische Potential entfesseln würden, so auf der findet sich auf Homepage von Agenda Austria folgende Aussage:
Dabei brauchen Steuersenkungen so etwas (gemeint ist die Gegenfinanzierung) für gewöhnlich nicht, sie finanzieren sich weitgehend selbst. Wie etwa die Absenkung der Körperschaftsteuer von 34 auf 25 Prozent im Jahr 2005. Schon im ersten Jahr waren die Einnahmen höher als zuvor, drei Jahre später kassierte der Staat um ein Fünftel mehr KöSt als im Jahr 2004 – mit dem niedrigeren Steuersatz. Genauso wäre das auch bei einer spürbaren Senkung der hohen Steuern auf Arbeit: Steuermoral und Leistungsbereitschaft steigen, die Konsumfreude ebenso, damit auch die wirtschaftliche Dynamik und die Beschäftigung.
Sind also die Vorschläge der AK und des ÖGB zur Gegenfinanzierung zu pessimistisch und dienen nur dazu den Staat noch größer zu machen? Auf dem BLOG von Agenda Austria steht da aber noch:
Und sollte sich in der Staatskasse dennoch ein Loch auftun, gibt es ein weltweit erfolgreich erprobtes Mittel, dies zu stopfen: niedrigere Ausgaben der öffentlichen Hand. Wer nicht Steuerlasten umverteilen, sondern sie tatsächlich senken will, muss bereit sein, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren.
Ah. Schon ein wenig glaubwürdiger.

Ein Blick in akademische Literatur zeigt uns, dass die vollkommene Selbstfinanzierung von Steuerreformen eher in die Kathegorie moderne Märchen gehört. So schreibt Thomas Hungerford (2012) vom Congressial Budget Office in den USA:
The results of the analysis suggest that changes over the past 65 years in the top marginal tax rate and the top capital gains tax rate do not appear correlated with economic growth. The reduction in the top tax rates appears to be uncorrelated with saving, investment, and productivity growth. The top tax rates appear to have little or no relation to the size of the economic pie. 
Also eher Umverteilung (division of the pie) als Wachstum (size of the pie). Expliziter ist der Beitrag von Birch Sörensen, der für Schweden die Selbstfinanzierungsraten von Steuersenkungen analysiert hat. Das Ergebnis ist hier:


Diese Analyse schaut auf die langfristige Selbstfinanzierung, nicht kurzfristige konjunkturelle Effekte. Laut dieser Analyse haben Konsumsteuersenkungen den geringsten Selbstfinanzierungsgrad (22%) gefolgt von Steuern auf Arbeit (32,8 %). Unternehmenssteuern und insbesondere die Besteuerung von Ersparnissen hat langfristig negative Effekte. Interessanterweise kommt der stärkste Beitrag jeweils von den Arbeitseinkommen (auch bei den Unternehmenssteuern - das zeigt, dass Arbeit eh schon einen Teil der Unternehmenssteuern schultern muss).

In Birch Sörensens Analyse kommen die Selbstfinanzierungseffekte durch die Reduktion der Wohlfahrtsverluste der Besteuerung zustande, die dann reale Effekte haben können. Der Wachstumseffekt der Steuer ergibt sich daraus, dass Anreize verbessert werden. Die Gegenfinanzierung durch neue Steuern ist hier nicht berücksichtigt und die Wirkung durch mögliche Ausgabeneinsparungen (die über die Ausgabenkategorien hinweg unterschiedlich sind) auch nicht. Daher eigenen sich diese Ergebnisse nicht wirklich dafür genau einzuschätzen wie hoch die Selbstfinanzierungskraft der vorgeschlagenen Steuerreformen ist. Auch die Reduktion von Steuerprivilegien hat Anreizwirkungen die zu Steuervermeidung führen kann. Spezifische Steuern haben auch sehr spezifische Wohlfahrtsverluste und (Ab-)Lenkungseffekte. Letztlich müssen Steuerreformen in der Realität langfristig irgendwie gegenfinanziert werden (Ausgabensenkungen oder Einnahmeerhöhungen).

Die Selbstfinanzierung ist nicht unbedingt mit Wachstumseffekten gleichzusetzen aber jeder hofft auf langfristige Wachstumseffekte. Gale und Samwick von Brookings haben einen interessanten Überblick zu Steuern und Wirtschaftswachstum vorgelegt und schliessen ihre Diskussion der verfügbaren empirischen Evidenz mit der folgenden Einschätzung:
The argument that income tax cuts raise growth is repeated so often that it is sometimes taken as gospel. However, theory, evidence, and simulation studies tell a different and more complicated story. Tax cuts offer the potential to raise economic growth by improving incentives to work, save, and invest. But they also create income effects that reduce the need to engage in productive economic activity, and they may subsidize old capital, which provides windfall gains to asset holders that undermine incentives for new activity.
Alles ist möglich und alles hängt von Kompensation der Anreizwirkung ab. Interessant finde ich das Argument, dass sich negative Anreizwirkungen einer Steuersenkung ergeben können, wenn altes Kapital (z.b. Bestand) gegenüber neuem Kapital (Unternehmen) steuerlich besser gestellt wird.

Aus dieser Studie kann man eine Gegenüberstellung der Änderungen in den Höchststeuersätze und das Wirtschaftswachstum von entwickelten Ländern  im internationalen Vergleich herausgreifen. Hier braucht man mal keine komplexe Statistik um zu sehen, dass kaum ein Zusammenhang zwischen Senkung von Spitzensteuersätzen und langfristigem Wirtschaftswachstum gegeben ist:

Moral von der Gschicht: Die Selbstfinanzierung von Steuerreformen ist eher gering und hängt von der Struktur der Steuerreform ab. Nicht alle Steuern haben die gleichen Selbstfinanzierungseffekte oder die gleichen Effizienz- bzw. Wachstumswirkungen. Aus dem Grund wäre ich für eine explizite Berücksichtigung der Inflation im Steuersystem. Die Schweiz interessante Lösungen in Bezug auf die Indexierung von Tarif und/oder Abzügen auf Bundes- und Kantonalebene anzubieten. Dann könnten wir auch ohne (manchmal unnotwendig laute und lähmende) Reformdiskussion real immer gleich viel Steuern auf unser Einkommen zahlen.

Sonntag, 14. September 2014

Weitere unpopuläre Maßnahmen: Demographie und Pensionen


Baldwin und Teulings betonen in ihrem Überblicksartikel zur Sekulären Stagnation auch, dass einer der Faktoren für die niedrigen Zinssätze der demographische Wandel ist. Die Überalterung der Gesellschaft führt zu höheren Sparraten und gleichzeitig auf grund der geringeren Bevölkerungsdynamik auch zu einem geringerem Investitionsbedarf. Wie kann hier wirtschaftspolitisch gegengesteuert werden?

Eine Möglichkeit wäre die Erhöhung der Pensionsantrittsalter. Ein Paradox des Prozesses der Überalterung der Gesellschaft jener ist, dass mehr gespart wird, dadurch die realen Zinssätze sinken und damit wiederum die Notwendigkeit zum Sparen steigt, weil Sparen niedrige Erträge aufweisst. In diesem Fall würde Gleichzeitig auch die Wahrscheinlichkeit des Entstehens von spekulativen Blasen steigen, weil die Sparer höhere Erträge erzielen wollen. Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters würde die Notwendigkeit zu Sparen reduzieren, weil länger angespart wird und für eine kürzere Pensionszeit Geld zurückgelegt werden muss. Dies würde auch gleichzeitig die Sparraten reduzieren.
Diese Möglichkeit ist mit Sicherheit unpopuläre, aber nicht alle können gleichzeitig in Pension sein.

Interessanterweise betonen Baldwin und Teulings auch die Bedeutung von umlagefinanzierten öffentlichen Pensionsystemen. Diese sollten in ihrer Glaubwürdigkeit gestärkt werden. Heute passiert von Banken und Versicherungen das Gegenteil. Sparer werden in Bezug auf die Umlagesysteme weitgehend verunsichert. Während individuell gesehen höhere Vorsorge besser ist, kann dies in einer situation wie der sekulären Stagnation markoökonomisch ungünstig sein. Hier sei angemerkt, dass ökonomisch gesehen (nachhaltige) umlagefinanzierte Systeme in der Tat wie eine Versicherung funktinieren. Sie reduzieren gleichzeitig auch die Notwendigkeit zu Vorsichtszwecken zu sparen. Denn umlagefinanzierte Systeme federn auch Kursrisiken ab, die bei allen anlagebasierten Systemen zu Unsicherheiten in Bezug auf die effektive Pensionsöhe zum Pensionsantrittszeitpunkt führt. Im Vergleich zu den meisten analgebasieren System glätten Umlagesysteme die Auszahlungen. Analgebasierte Systeme haben immer ein systemisches Kursrisiko (wie es in der grossen Finanzkrise deutlich zum Ausdruck gekommen ist). Es sollte klar sein, dass eine Erhöhung des gesetzlichen und des faktischen Pensionsantrittsalters zwar unpopulär sein wird, aber gleichzeitig die Glaubwürdigkeit des Umlagesystems als solchen stärken würde.

In entwickelten Ländern (wie Österreich) ist eine Stärkung des umlagefinanzierten öffentlichen Pensionssystems auch equivalent mit fiskalpolitischer Maßnahmen, denn in vielen dieser Länder müssen Umlagesysteme (wie in Österreicht) durch staatliche Zuschüsse finanziert werden. Auch haben Sozialversicherungsbeiträge zu Umlagsystemen viele Ähnlichkeiten mit Steuern. Dies muss nicht unbedingt negativ sein. Richard Koo von Nomura (der die These einer blance-sheet-recession vertritt) argumentiert, dass in Phasen von exzessiven Sparen die Fiskalpolitik gegensteuern muss. Fiskalpolitische Maßnahmen zur Stützung der Kaufkraft (z.b. Pensionen) sind wahrscheinlich eh sinnvoller als der Bau spektakulärer Tunnels oder die staatlichen Aufwendungen durch dar Retten von insolventen Banken (auch wenn das oft notwenig ist).

Freitag, 12. September 2014

Inflation als Ausweg aus der säkulären Stagnation?

Der erste Kandidat für unkonventionelle Politik ist die Geldpolitik und das Infaltionsziel. Wie Tim Hartford von der Financial Times schreibt, könnte ein höheres Inflationsziel dazu beitragen die sekuläre Stagnation zu überwinden. Ein solches Vorhaben wurde auch von anderen, die ökonomischen Hokuspokus fern stehen (z.B. BallRogoffSchmitt-Grohe und Uribe) für die Überwindung der Krise vorgeschlagen. Auch Summers selbst betonte solche Politikmaßnahmen.

Eggertsson and Mehrotra argumentieren auf Basis eines theoretischen Modells, dass ein glaubwürdiges höheres Inflationsziel einen permanenten  Schock (der zu einer lang andauernden Liquidiätsfalle führt - säkuläre Stagnation) abfedern kann. Bei einem zu niedrigen Inflationsziel habe Geldpolitik wenig Wirkung in einer säkulären Stagnation. Aber auch Fiskalpolitik oder eine Umverteilung von Sparern zu Schuldnern hätte positive  Effekte (Anm.: negative Realzinsen führen implizit zu einer Umverteilung von Sparern zu Schuldnern). Eggertsson un Mehrota schliessen aus ihren Ergebnissen, dass

(...) a passive attitude towards a recession of the kind experienced by the world today is not appropriate. Our model of secular stagnation instead provides, in our view, a strong case for aggressive policy interventions that are aimed at increasing aggregate demand.   
Der Effekt eines höheres glaubwürdigen Inflationsziels wäre ein Stimulus. Bei Erwartungen, dass die Realzinsen lange negativ bleiben würde das geplante Sparen reduziert und in Konsum überführt. Die Diskrepanz zwischen Sparen und Investieren würde ausgeglichen. Gleichzeitig haben Nationalbanken mehr Spielraum für ihre Zinspolitik. Bei nominalen 0% Zins könten negative Realzinsen im Ausmaß von 4 % hingenommen werden. Das kann auch negative Wirkungen haben wie Hartford schreibt:

If all that makes you feel queasy, it should. As Prof Summers argues, unpleasant things have a tendency to happen when real interest rates are very low. Bubbles inflate, Ponzi schemes prosper and investors are reckless in their scrabble for yield. 
Dabei muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass Blasen als solche nicht unbedingt irrational oder böse sein müssen. Baldwin und Teulings schreiben:
However, bubbles are not necessarily irrational. On the contrary, they might be a natural response of capital markets to a low real return on investment when fiscal policy does not respond to it.  
Also rationale Blasen könnten notwendig ist um Finanzmärkte ins Gleichgewicht zu bringen, wenn das geplante Sparvolumen die Nachfrage nach Krediten nicht decken kann. Hartford glaubt aus politökonomischen Gründen nicht an das 4% Ziel. (Auch wenn historisch falsch: nicht die Inflation hat letztlich zu den Erfolgen der Nazis geführt sondern die Sparpolitik von Brüning). Aber grossartige Alternativen hat er keine anbieten. Allein die Hoffnung, dass Summers falsch liegt:
One thing that need not worry anyone, though, is the prospect of an inflation target of 4 per cent. It will not happen. That is particularly true in the place where the world economy most needs more inflation: in the eurozone. The German folk memory of hyperinflation in 1923 is just too strong. That economic catastrophe, which helped lay the foundations for Nazism and ruin much of the 20th century, continues to resonate today.
What practical policy options remain? That is easy to see. We must cross our fingers and hope that Prof Summers is mistaken. 

Donnerstag, 11. September 2014

Politik in der säkulären Stagnation: konventionelle Ansatzpunkte

Nachdem ich Baldwin und Teulings gelesen haben, stelle ich kurz die im Buch diskutierten wirtschaftspolitischen Strategien darstellen. Baldwin und Teulings unterscheiden zwischen schwierigen aber konventionellen Politikvorschlägen, welche vor allem auf die Erhöhung des langfristigen Produktionspotential vor Volkswirtschaften abzielen. Diese sind bekannt, werden auch von OECD und Europäischer Kommission immer wieder vorgeschlagen und auch in den Zeitungen immer wieder diskutiert. Zu de unkonventionellen Maßnahmen komme ich in einer anderen Post.

Baldwin und Teulings schreiben:
The corresponding policy responses correspond to the first pillar of the Macro 101 frame in that they aim to raise economies’ long-run growth potential. They include the following:
  • Improving the education system.
  • Investing in the physical infrastructure. 
  • Removing barriers for labour mobility between firms by trimming down           employment protection legislation.
  •  Increasing incentives for low-skilled workers to participate on the labour market. 
  • Simplifying procedures for starting up businesses. 
  • Applying anti-monopoly policies to reduce the profit margins in new IT industries. 
These new IT industries are characterised by large network externalities and hence low
investment demand. Anti-monopoly policies increase the share of profits available for
less monopolistic parts of the value chain, thereby enhancing investment demand.
Im wesentlichen zielen diese Maßnahmen darauf ab zentrale Inputfaktoren zu verbessern (Bildungsreformen, physische Infrastruktur), Reallokation von Ressourcen zu verbessern (Barrieren der Arbeitsmobilität reduzieren, administrative Kosten für Gründungen senken, Arbeitsmarktbeteiligung niedrig qualifizierter Arbeitskräfte) und Marktmechanismen zu stärken (wie auch Luigi Zingales nicht müde wird zu erwähnen).

Diese Politikmaßnahmen zielen primär auf die Angebotsseite ab und entsprechen dem was unter Strukturreformen gemeint ist. Allerdings primär Sturkturreformen, welche dazu dienen die Investitionsquote zu heben, nicht solche welche die Unsicherheit erhöhen und damit nochmal das geplante Sparen.  Investitionen erhöhen nicht nur die zukünftige Produktivität sondern auch die gegenwärtige Nachfrage.

Unter diesen Maßnahmen könnnte man auch Maßnahmen einordnen welche die Effizienz der staatlichen Institutionen erhöht (Reduktion von Korruption und administrative Kosten für Unternehmen und Bürger). Mit diesen Maßnahmen könnten wahrscheinlich die meisten leben, sofern sie nicht gerade Partikularinteressen verfolgen oder Monopolpositionen besetzen.



Samstag, 6. September 2014

Säkuläre Stagnation?

In den österreichischen Zeitungen liest man wenig über die These der säkulären Stagnation. Hier wird oft die grosse Entschuldung als einziger Weg zum "old normal" gesehen und wirtschaftspolitische Maßnahmen oft nur hinsichtlich ihres Betrags zur Bildung neuer spekulativer Blasen (böse! böse!) beurteilt. Spekulative Blasen sind aber nicht der einzige Mechanismus, der zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen kann.

Larry Summers hat 2013 bei einer IMF Tagung argumentiert, dass die "grosse Rezession" nicht schnell vorbei gehen würde, die gegenwärtige Situation mit geringen Wachstumsraten und niedrigen Zinsen könnte "the new normal" sein. Damit war die These der säkulären Stagnation (von Alvin Hansen für die 1930er Jahre geprägt) wieder en vougue. Sie wird auch ansatzweise in Europa diskutiert (1,2,3). Für Europa scheint diese These noch relevanter zu sein als für die USA. Hüfner hat eine suggestive Grafik für Deutschland:



Worum gehts? Wie kommt es dazu? Ein säkuläre Stagnation kann in Ländern mit hohen Einkommen entstehen, wenn das geplante Sparen die geplanten Investitionen übersteigt (makroökonomische Gleichgewichtsbedingung I=S). Sie ist mit ökonomischen Anpassungsmechanismen verbunden, die zu einer Stagnation oder einer länger andauernden Depression führen können.

Die These der säkulären Stagnation kann technologisch und makroökonomisch gedeutet werden. Die technologische Erklärung ist, dass wegen bestimmter Gründe (Demographie, Grenzen für die weitere Expansion der Höherqualifizierung, wachsende Ungleichheit, geringere Wirkung von Innovationen auf Wirtschaftswachstum oder auch öffentliche Verschuldung) eine Reduktion  des langfristigen Wachstumspotentials eingetreten ist, insbesondere in den entwickelten Industrieländern. Robert Gordon hat diese Erklärung bereits 2012 für die USA formuliert.

Larry Summers selbst hat eine eher makroökonomische Interpretation vorgelegt, die besagt, dass es derzeit gute Gründe gibt, dass die Volkswirtschaften lange Perioden unter dem Produktionspotential liegt können. Diese These ist im Kern keynesianisch und darauf zurückzuführen, dass der "naürliche" Zinssatz, der mit Vollbeschäftigung kompatibel ist, sich in den letzten Jahrzehnten erheblich reduziert hat, so dass im öfter negative Realzinsen notwendig sind um die Wirtschaft zur gleichgewichtigen Kapazitätsauslastung zu bringen. Im Moment sehen wir in Europa, dass vier Jahre negativer Realzinsen nicht ausgereicht haben um die Investitionen in der der Eurozone wieder auf das Vorkrisenniveau bzw. Gleichgewichtsniveau zu heben. Unter diesen Umständen könnte es sein, dass die einzigen Optionen für die Wirtschaftspolitik entweder flaues (oder gar negatives) Wirtschaftswachstum (Stagnation) hinzunehmen oder zu hoffen dass über das Auf und Ab über Blasen langfristig ein höheres Wachstum und damit Wohlfahrt erzeugt werden kann. Diese Situation kann aber auch einen Kontraktionsprozess in Gang setzen, der erst bei einem niedrigerem Nationaleinkommen endet bei dem wieder gilt: geplantes Sparen = geplante Investitionen.

Warum sind die Zinssätze gefallen? Den besten Ansatzpunkte bietet die loanable-funds Theorie des Zinssatzs (Zins als Marktpreis für das Angebot von Krediten - geplantes Sparen - und Nachfrage von Krediten - geplante Investitionen). Wie Tim Hartford schreibt werden der natürliche Zins von den Nationalbanken nicht gesetzt (im Text schreibt Hartford zwar reale Zinssätze, das soll jetzt aber keinen verwirren):
The background level of real interest rates is set not by central banks but by supply and demand. Low real rates suggest lots of people are trying to save, and particularly in safe assets, while few people are trying to borrow and invest. Only with rates at a very low level can enough borrowers be found to mop up all the savings.
Daraus ergebn sich drei Ansatzpunkte:
  1. Strukturelles Ansteigen des verfügbaren Kreditangebots (Sparen). Der Marktzinssatz bestimmt sich unter anderm durch das verfügbare Kreditangebot (Sparen). Durch die demographische Entwicklung in den Industrieländern wird mehr gespart (bzw. muss mehr gespart werden). Wenn die Kreditnachfrage nicht Schritt hält sinkt wegen des Marktmechanismus der gleichgewichtige Zins.
  2. Durch die technologische Entwicklung (IT) sinkt das Investitionsvolumen. So haben Internetunternehmen deutlich geringere Investitionsquoten als traditionelle Industrieunternehmen. Hält die Kreditnachfrage (in dem Fall Investitionen) mit dem Kreditangebot (Sparen) nicht Schritt sinkt der Zins. Entschuldung von Sektoren (Staat, Unternehmen oder Haushalte) kann in diesem Kontext als Rückgang der Kreditnachfrage interpretiert werden und hat somit eine negative Wirkung auf die Zinssätze.
  3. Reduktion im Volumen der sicheren Anlagemöglichkeiten. Im Zuge der Finanzkrise hat sich das Angebot sicherer Anlagemöglichkeiten (Assets) reduziert. Dies führt zu einem Anstieg der Assetpreise und einem Sinken der Returns auf die sicheren Assets. Weil die Referenz für die Geldmarktzinsen die Ertragsraten für sichere Assets sind, kommt es so zu einem Sinken der Zinssätze.
Insgesamt plausible Gründe für düstere Visionen. So plausibel, dass CEPR und Vox.EU ein Buch mit Beiträgen führenden Ökonomen (u.a. Krugman, Smets, Caballero, Gordon, Glaeser, Blanchard) zum Thema veröffentlicht haben. 



Freitag, 5. September 2014

Goldstandard und Inflation in der Demokratie

Wie Brad DeLong habe ich immer geglaubt, dass die Einführung des allgemeinen Wahlrechts (universal suffrage) Auswirkungen auf die Struktur der der Staatsausgaben und die Wirtschaftspolitik hatte. An Inflation und Goldstandard habe ich dabei nicht gedacht. Liegt aber nahe. Brad DeLong:

As I said to Barry Eichengreen in my office last week:
I used to teach that before World War I with restricted suffrage and difficulties of political mobilization the working-class was effectively disenfranchised, and there was a very large rentier component of the upper classes whose assets were in nominal bonds or in land rented out on long-term nominal leases to serve as a heart money lobby. Thus the attachment to the gold standard. But with the coming of universal suffrage and of broad portfolio diversification the material interest of the rich in hard money vanished, the material interest of the working-class and the entrepreneurial class in a high-pressure economy advanced, and we acquired a strong political bias toward fiat money and moderate inflation and against price stability or deflation. But what do I teach now?
Barry’s comment:
You are not the only one who has taught that…

Aber die Inflationsaversion könnte auch mit dem demographischen Wandel zusammenhängen. Dann würde das politökonomische Argument wieder zutreffen. Ausser bei Pensionisten scheint der Anteil derer, bei denen die Einkommen aus Kapitalbesitz (nicht unternehmerisches Einkommen) das Einkommen aus Arbeit liegt eher überschaubar zu sein. Heute ist der Anteil von Pensionisten und angehenden Pensionisten größer als in den 50er Jahren.

Donnerstag, 4. September 2014

Die EZB Zinsentscheidung & quantitative Lockerung

Herr Schnauder kritisiert im Standard zur Zinspolitik der EZB :

Gleichzeitig wachsen die Risiken rapide. Die großen Notenbanken haben seit Ausbruch der Finanzkrise 20 Billionen Dollar in die Märkte gepumpt, bei einem Ausstieg aus dem Krisenmodus sind neue Schockwellen zu befürchten. Die niedrigen Zinsen verleiteten die Haushalte dazu, immer höhere Schulden aufzutürmen, ihr Verhältnis zum verfügbaren Einkommen stieg global in den letzten sechs Jahren von 155 auf 175 Prozent. Investoren und Banken werden bei ihren Geschäften immer waghalsiger, weil sichere Anlagen nichts bringen und deshalb mehr Risiko genommen wird. Die Folgen: Der Bestand hochverzinster Unternehmensanleihen hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht, bei den Kreditkunden steigt der Anteil jener mit niedriger Bonität rasant. Dazu kommt die Flucht in Sachwerte, allen voran in Luxusimmobilien.
Die Notenbanken haben die Weltwirtschaft in ein riesiges Kartenhaus verwandelt, das früher oder später einstürzen muss. Statt den Retourgang einzulegen, wird munter nachgelegt.

Aber was sollte die EZB tun, wenn sie fast 1,6 % von ihrem Inflationsziel weg ist und die Eurozone eher ein bisschen Inflation als ein bisschen Deflation braucht? Ich verstehe nicht. Welcher Mechanismus soll zur Konjunkturerholung beitragen? Wie soll der Retourgang ausschauen? So wie in Italien, das jetzt 14 verlorene Jahre aufweisst?

Fragen, die nicht beantwortet werden. Was würde Herr Schnauder vorschlagen? Fiskalpolitik? Doch eher nicht, denn die Steuern sind zu hoch und auch die Staatsverschuldung. Ein höheres Inflationsziel? Wohl auch nicht, sonst hätte ich das bereits gelesen. Oder die in kritischen Zeiten wohl nicht haltbare These der expansiven Sparpolitik?

Was sagen die Daten? Die Geldmenge M3 ist in der Eurozone wächst ziemlich schwach (wenngleich das wachstum positiv ist), ebenso wie die Kreditvergabe and den Privatensektor, wie die Daten der EZB zeigen. Von massiver Geldflut ist nicht viel zu sehen. Die Impulse von M1 übersetzen sich kaum in M3 und schon gar nicht auf die Kreditvergabe an den privaten Sektor, der rückläufig ist. Von vollkommener Überschuldung kann nicht die Rede sein. Auch die neueren Werte der EZB deuten nicht darauf hin, dass es hier bisher eine Veränderungen gegeben hat.

So gesehen könnte man das Vorgehen der EZB auch als viel zu vorsichtig deuten (sofern man Maket-Monetarist ist) und ein nominales GDP Targeting präferiert. Oder man könnte der Meinung sein, dass koordinierte Fiskalpolitk der einzige richtige Rettungsanker wäre.