Sonntag, 26. April 2009

Über Neoliberalismus als leeren Signifkant

Über John Quiggin bin ich wieder einmal über den Begriff Neoliberalismus gestolpert, der als leeres Signifikant des Bösen durch die Politik geistert. Jeder benutzt das Wort, insbesondere die populistische Linke und die populistische Rechte. Aber kaum jemand verwendet es positiv. "Neoliberal" ist ein Schimpfwort. Man muss kein Wirtschaftsliberaler sein um Michael Wohlgemuth humoristischen Kommentar einiges abgewinnen zu können. Wenn Gabriele Michalitsch auf Attac folgendes schreibt,
Neoliberalismus repräsentiert nicht bloß einen ökonomischen, die Ära des Keynesianismus beendenden Paradigmenwechsel, sondern ist als Antwort auf eine in den siebziger Jahren einsetzende Krise von Akkumulation und fordistischer Regulation zu deuten. Das neoliberale Projekt entspricht keiner Rückkehr oder bloßen Wiederbelebung, sondern einer fundamentalen Weiterentwicklung des klassischen Liberalismus. Der Staat überwacht nicht länger, wie es der liberalen Konzeption entspricht, die Marktfreiheit, sondern der Markt selbst wird zum organisierenden und regulierenden Prinzip des Staates: Ein begrenzendes und äußerliches wird durch ein regulatorisches und inneres Prinzip ersetzt, der Markt wird zum Organisationsmodell von Staat und Gesellschaft. Aber auch dem Individuum wird, zu Humankapital transformiert, Marktlogik eingeschrieben.
meint sie zwar das was jeder meint, aber das macht es nicht richtiger. Was Gabriele Michalitsch meint ist Manchester-Liberalismus oder Paleo-Liberalismus Miseanischen Prägung, der in den USA eine gewisse ideologische Basis gefunden hat und dort weiter radikalisiert wurde - allerdings kaum in akademischen Departments sondern in "Denkfabriken". Der esoterisch-ideologische Umgang dieser Marktradikalen miteinander erinnert manchmal an K-Gruppen oder ähnliches wo Dinge diskutiert wurden, die mit der realen Welt kaum etwas zu tun hatten. Darüberhinaus Arbeitet Mitscherlichs Artikel irgendwie an die Gleichsetzung Neoklassik (Preistheorie) mit Neoliberalismus. Welch ein Unsinn. John Quiggin, Robert Solow oder Paul Samuelson welche alle dieser Theorierichtung zuordenbar sind, würden sich eher als social democrats bezeichnen, wenn sie die Wahl treffen müssen. Und die Miseaner und Hayekianer haben oft auch nichts besseres zu tun als die Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaften als Irrtum zu bezeichnen. Vielleicht weil dadurch dem Apriorismus ideologischer Erklärungen etwas viel Boden entzogen wird.

Doch zurück zum unsäglichen Begriff des Neoliberalismus. John Quiggin verwendet ihn nicht, sondern spricht lieber von economic rationalism, dessen Kern die These der Chicago School, dass das einfache neoklassische Modell des vollständigen Wettbewerbs eine gute Beschreibung für Märkte wäre wenn diese von staatlichen Einflüssen bereinigt wurden. Eine solche Perspektive vernachlässigt die Theorie der Marktfehler, die nur in der neoklassischen Theorie möglich ist.
Eine vernünftigere Typologie wie ich meinen möchte. In der Diskussion hat Don Artur versucht die Frage zu beantworten wie denn der Begriff des Neoliberalismus nach Australien kam.
Weiter nach dem Fold ....

Ich weiss eine lange Vorrede. Aber so sei es.

Im Artikel ist eine Referenz auf ein Papier von Taylor Boas und Jordan Gans-Morse Neoliberalism: From New Liberal Philosophy to Anti-Liberal Slogan welches im Journal Studies in Comparative International Development 44, no. 2 erscheinen wird. Dort wird nachgezeichnet, dass gerade jene die sich am ehesten noch als "Neoliberale" bezeichnet haben - um klar zu machen, daß ihr Liberalismus sich vom klassischen Liberalismus unterscheidet - gar nicht in das Muster passen das Gabriele Mitscherlich zeichnet, nämlich die deutsche Freiburger Schule des Ordoliberalismus. Michalitsch nimmt diese von ihrem Angriff explizit aus:

Vor allem im deutschsprachigen Raum wird oft auch – zu Unrecht – auf den Ordoliberalismus als theoretische Quelle von Neoliberalismus verwiesen. Der von den Ökonomen und Juristen der „Freiburger Schule“ – insbesondere Wilhelm Röpke, Walter Eucken, Franz Böhm, Alexander Rüstow, Alfred Müller-Armack – und ihrem Umfeld formulierte, in der Zeitschrift Ordo publizierte und als Ordoliberalismus titulierte liberale Entwurf der „Sozialen Marktwirtschaft“ bestimmte die Nachkriegsjahre der Bundesrepublik Deutschland. Zentrale Bedeutung kommt im ordoliberalen Modell der Ordnung des Wettbewerbs zu. Obgleich Ordoliberalismus Staatsinterventionen ablehnt, weil diese den Staat in wirtschaftliche Interessenkonflikte verstricken, bedarf es der ordoliberalen Konzeption zufolge eines starken und unparteiischen Staates, der für Wettbewerb sorgt. Erst Wettbewerb gewährleistet unternehmerische Privatinitiative und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Auch Privateigentum, Voraussetzung der Wettbewerbsordnung, ist letztlich nur dann gerechtfertigt, wenn Unternehmer im Wettbewerb gezwungen werden, sich in „den Dienst der Allgemeinheit“ zu stellen.

Trotz mancher Ähnlichkeit in wirtschaftspolitischen Forderungen unterscheidet sich Ordoliberalismus von gegenwärtigem Neoliberalismus vor allem in seinem Staatsverständnis: Der Staat bleibt ein mächtiger Faktor, dem die Ökonomie untergeordnet ist. Der Markt wird durch staatliche Intervention konstituiert und erhalten. Vollkommene Konkurrenz entspricht einem Ideal, dem es durch kontinuierliche Intervention nahezukommen gilt. Staat und Markt bedingen einander, ihre strikte Trennung wird damit unmöglich. Die Geschichte des Kapitalismus wird im Ordoliberalismus folglich als ökonomisch-institutionelle Reziprozität interpretiert. Nicht die Kapitallogik bestimmt die kapitalistische Entwicklung, sondern Veränderungen des ökonomisch-institutionellen Ensembles. Als (Wirtschafts-)Ordnung konzipiert, impliziert es die Möglichkeit der Gestaltung durch soziale und politische Intervention und läßt ihren Konstruktionscharakter deutlich werden. Der Staat bleibt im Ordoliberalismus – ganz im Gegensatz zum Neoliberalismus – folglich eine übergeordnete Instanz, die die Gestaltung sozialer Beziehungen reguliert.
Siehe auch diesen Beitrag von Neumärker für gute Darstellung. Nun waren genau diese, die als einzige Gruppe das Wort "Neoliberale" für sich gebrauchten.

Wie geht nun die Geschichte von Boas und Gans-Morse weiter, die genauso und nicht anders den Neo ähm Ordoliberalismus beschreiben. Der Begriff wird in Südamerika von liberalen und rechten Intellektuellen aufgegriffen, die voll Bewunderung auf das Wirtschaftswunder schauen.
From its origins in interwar Germany to its contemporary usage by social scientists, the term neoliberalism has undergone a remarkable transformation. While today’s scholars frequently use neoliberalism to refer to negative, radical phenomena, the economic philosophers of the German Freiberg School used the term in a positive and self-identifying sense and considered neoliberalism to be a moderate alternative to classical liberalism.
Anfangs wurde der Begriff noch neutral verwendet. Insbesondere in den 80er Jahren hat sich dann die Verwendung verändert. Insbesondere in Chile haben vor allem Gegner der marktwirtschaftlichen Reformen den Begriff verwendet, während Befürworter den Begriff nicht verwendeten:
By the 1980s, neoliberalism in Latin America had not only become a term with negative connotations employed principally by critics of market reform; it also had shifted in meaning from a more moderate to a radical or fundamentalist form of liberalism.
Boas und Gans-Morse sagen in ihrer abschließenden Bemerkung, dass Neoliberalismus nicht mehr auf den ursprüngliche Konnotation zurückführbar ist und derzeit für die wissenschaftliche Debatte unbrauchbar ist, weil nichts anderes als eine ideologische Orientierung bezeichnet aber keine Substanz hat (nichts bezeichnet):
Whether free markets are good or bad for society is one of the most important questions scholars can debate. Our contribution should be to bring facts and reasoned arguments to the table as opposed to politically charged language. We can begin to do this by transforming the term neoliberalism into one that conveys a common substantive meaning rather than a common ideological orientation, and is used by all parties to this debate.

Mehr im interessanten Originaltext von Boad und Gans-Morse Neoliberalism: From New Liberal Philosophy to Anti-Liberal Slogan. Leider auf Englisch.

4 Kommentare:

  1. Anonym12:11

    Also wie die Tomate ein Import aus Lateinamerika.

    AntwortenLöschen
  2. Anonym10:09

    Als Industrieökonom kann ich John Quiggin schon folgen, aber ich würde da eher von economic irrationalism sprechen.

    M.

    AntwortenLöschen
  3. Frobin Jojo15:07

    Da muss ich leider ziemlich widersprechen - und zwar, weil die Texte, auf die in diesem Blogbeitrag Bezug genommen wird, offenbar nur überflogen oder sehr selektiv gelesen wurden. Mir ist schon klar, dass es sich hier um einen Blog mit Schwerpunkt Ökonomie handelt - dennoch sollte nicht alles einseitig durch die ökonomische Brille betrachtet werden:

    - Allgemein: Ich stimme zu, dass "Neoliberalismus" im allgemeinen Sprachgebrauch zu einem Kampfbegriff geworden ist, den viele verwenden ohne ihn konkret definieren zu können. Das heißt aber nicht, dass der Begriff inhaltsleer ist. Zur wissenschaftlichen Debatte unten. Beides sollte aber getrennt werden.

    - Zum Text von Michalitsch: Da muss ich zunächst mal sagen, dass ich keineswegs die teilweise substanzlosen Allgemeinheiten von Attac (insbesondere von Wischiwaschi-Schreiberling Christian Felber) teile - aber Gabrielle Michalitsch bietet sehr wohl und sehr viel Substanz bietet. Sie ist übrigens Politikwissenschafterin (in erster Linie, aber auch Ökonomin soweit ich weiß).

    Und genau das scheint hier das Problem zu sein: Neoliberalismus - so wie der Begriff heute in der allgemeinen UND wissenschaftlichen Debatte gebraucht wird - ist KEIN ökonomisches, sondern ein politikwissenschaftliches Konzept! Für die Analyse dessen, was heute als "Neoliberalismus" bezeichnet wird, ist es völlig irrelevant, ob sich Quiggin, Solow und Samuelson als "neoliberal" bezeichnen oder nicht, es ist auch irrelevant, ob sich Hayek, Friedman oder Becker vom Neoliberalismus distanzieren bzw. fragen, was das überhaupt ist.

    In keinster Weise kann ich erkennen, dass Michalitsch die Neoklassik mit dem Neoliberalismus gleichsetzt und sie spricht auch nicht von "Manchester-Liberalismus", "Paleo-Liberalismus Miseanischer Prägung" oder sonst was ... sie listet historische Strömungen auf, die der sogenannte Neoliberalismus beeinflusst haben.

    Sie macht also auf einer NICHT akademischen Seite den sehr allgemeinen Versuch "Neoliberalismus" zu definieren - und das ist ja insbesondere in der allgemeinen Debatte durchaus lobenswert. Schließlich jammert der Blog-Beitrag ja über den "leeren Signifikant" Neoliberalismus.

    Das Attac den Begriff als Kampfbegriff verwendet, kann man wiederum Attac kaum vorwerfen - hier ist es ein politisches Schlagwort.

    Michalitsch versucht aber aus meiner Sicht einen relativ neutralen und sehr allgemeinen Überblick - aus der politikwissenschaftlichen Perspektive. Da könnte man noch zahlreiche andere Bereiche anführen - von der Sozialwissenschaft (wie z.B. Richard Sennett) über die Gesellschaftstheorie (z.B. Ulrich Beck) bis zur Philosphie (z.B. Foucault - aber sogar Adam Smith könnte man paradoxerweise ins Felde führen). Tut sie aber nicht - weil es nur ein sehr allgemeiner Überblick für Interessierte ist.

    - Zur wissenschaftlichen Debatte und den Text von Boas & Gans-Morse: Diesen Text anzuführen als Beleg, dass sich der Neoliberalismus nicht als Begriff für die wissenschaftliche Analyse eignet, zeigt wie (einseitig) selektiv der Text gelesen wurde.

    Die beiden Politikwissenschaftler skizzieren hervorragend wie sich der ursprüngliche Bedeutungsinhalt des Wortes "Neoliberalismus" verändert hat - und dass das Phänomen oder das Objekt der Analyse (however), das heute als Neoliberalismus bezeichnet wird, NICHTS mit Ordoliberalismus und jenen Ökonomen zu tun hat, die sich so bezeichnen. Hervorragend stellen sie dar, dass der Begriff nicht einheitlich verwendet wird und einer konkreten Definition bedarf.

    Dabei ziehen sie den Vergleich mit anderen politikwissenschaftlichen Debatten um Begriffe wie Demokratie, Totalitarismus, etc. - ein sehr guter Vergleich. In der Demorkatiedebatte hat es ebenfalls jahrzehntelange Debatten gegeben um den Begriff der "modernen Demokratie" ... bis aufgrund der Debatte ein Konsens erreicht wurde. Das bedeutet aber KEINESWEGS, dass der Begriff inhaltsleer wäre oder "ein leerer Signifikant".

    Neoliberalismus hat diese Debatte (als wissenschaftlicher Begriff) noch vor sich.

    Vor allem aber sagen Boas & Gans-Morse NICHT, dass man den Begriff nicht brauchen kann - im Gegenteil - sie analysieren, warum der Begriff so unterschiedlich verwendet wird und bedauern, dass es derzeit keine Debatte um den Begriff gibt.

    Sie wollen diese Debatte führen und meinen, dass Neoliberalismus durchaus das Potenzial hätte ein brauchbarer Terminus für die wissenschaftliche Debatte zu werden! Darum rufen die beiden geradezu dazu auf den Begriff des Neoliberalismus zu verwenden und zu diskutieren, was genau Neoliberalismus in der politikwissenschaftlichen Debatte meint.

    FAZIT:
    Das Argument, Neoliberalismus eigne sich nicht für die wissenschaftliche Debatte, ist schlicht FALSCH!

    Die Arfumentation mit historischen Begriffen, die aber nicht das zu analysierende Phänomen bezeichnen, und mit Ökonomen, die sich selbst nicht als neoliberal oder schon neoliberal bezeichnen, ist für die Debatte um den Inhalt des Begriffes Neoliberalismus wie er heute verwendet wird IRRELEVANT.

    Den Neoliberalismus auf ein ökonomisches Konzept zu reduzieren, ist höchst einseitig und wird einer umfassenden Analyse wohl nicht gerecht werden!

    AntwortenLöschen
  4. Frobin Jojo21:55

    Ok, der Blog scheint eher als Monolog denn als Dialog angelegt zu sein. Naja, wenn's viel mitzuteilen gibt ... einfach raus lassen ... auch ok!

    AntwortenLöschen