Sonntag, 4. November 2012

Target 2, Ungleichgewichte, Risiken und Identitäten

De Grauwe und Ji antworten auf Sinns Argument, dass Target 2 bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone Deutschland schwere Folgen für den Steuerzahler hätte. In Österreich ist das kein Thema, denn Österreich hat nicht in dem Ausmaß Target-Forderungen wie Deutschland.

Zu Target hat es viele Diskussionen gegeben (1,2,3,4). Einen vollständigen Überblick über die Beiträge findet man hier (großartig!). Dennoch noch einmal: Target 2 ist das Clearing System der Eurozone. Jede Bank hat bei der eigenen Nationalbank ein Konto mit Zentralbankguthaben. Kommt es zu grenzüberschreitenden Zahlungen wird das folgendermaßen durchgeführt: Wenn aus einem Land Zentralbankgeld in ein anderes Land überwiesen wird, entstehen Verbindlichkeiten und Forderungen. In dem Land aus dem das Geld versendet wird entsteht eine Verbindlichkeit und in dem Land in welchem das Zentralbankgeld ankommt entsteht eine Forderung. Bei den Zentralbanken im Eurosystem können die Bilanzen stehen bleiben, während alle anderen Nationalbanken am Ende des Tages den Saldo schließen müssen. Es werden beinahe alle Zahlungsströme über Target 2 verrechnet. Damit bilden sie einen Teil der Kapitalbilanz ab.

Solange die Eurozone bestehen bleibt, sind die Targetbilanzen problemlos, denn alle Notenbanken sind Teil der EZB. Die Targetbilanzen werden wieder ausgeglichen, wenn wieder Geld aus Deutschland in den Süden fließt. Wenn die Eurozone zusammenbricht könnten diese Targetüberschüsse für Deutschland problematisch werden. Allerdings hat Hans-Werner Sinn sie etwas weit gefasst als Kredite Deutschlands an den europäischen Süden interpretiert. Diese Interpretation ist wie ich das sehe nur zum Teil richtig. Sinn argumentiert im letzten Artikel im Wesentlichen, dass die Target-Bilanzen durch die Bankenhilfe der EZB generiert wurden. Durch die Möglichkeit Staatspapiere als Sicherheit bei der EZB zu verwenden ersetzte die EZB den Interbankenmarkt. Dies ermöglichte den Aufbau der Ungleichgewichte in Target 2 in Form von Kapitaltransfers oder Kapitalflucht nach Deutschland.

Klar und das sagen auch De Grauwe und Ji. Sie sagen aber, dass dies nicht die Risiken Deutschlands verändert habe. Denn der Aufbau der Target 2 Bilanzen stammt zum Teil aus Aussenhandelsüberschüssen Deutschlands. Die Aussenhandelsüberschüsse haben sich bereits vor der Krise aufgebaut, aber durch das Kreditvergabe deutscher Banken an den Süden (im Interbankenmarkt) nicht auf Target ausgewirkt. Erst mit dem Zusammenbruch des Interbankenmarktes - dessen Rolle die EZB übernommen hat - seien die Ungleichgewichte in den Targetsalden massiv gestiegen. Implizit haben die deutschen Banken haben ihre Kredite auf die Bundesbank überwälzt. Denn wenn die EZB die Rolle als lender of last ressort übernimmt, dann übernimmt auch die Bundesbank diese Rolle. Diese Rolle war notwendig, denn sonst hätten die Kreditvergabe an Unternehmen in Südeuropa nicht (einigermaßen) stabilisierten werden können (so interpretiere ich mal die Ergebisse von Giannone, Lenza, Pill und Rechlin).

Diese Erklärung macht intuitiv Sinn. Österreich hatte keine persistenten Aussenhandelsüberschüsse. Und die  Target2 Bilanzen blieben langweilig. Daher gibt es auch keine Target 2 Diskussion in Österreich.

Wenn die Argumentation von de Grauwe und Ji zutrifft, dann verändern sich durch den Anstieg der Target 2 Salden auch nicht die deutschen Risiken. Denn ob die Banken oder die Bundesbank die Risiken trägt ist letztlich einerlei. Bei einem Zusammenbruch der Eurozone ist es auch egal ob sie die EZB trägt. Tragen muss sie der deutsche Steuerzahler (im Fall der EZB anteilig). Und dann stimmt auch die Aussage:

The TARGET2 claims of Germany have not created a new risk in addition to pre-existing ones. The TARGET2 claims are just a repackaging of risks that Germany took by accumulating large current account surpluses and by the fact that, prior to the debt crisis, German banks were willing to lend vast amounts of money to peripheral countries without doing a proper credit risk analysis. No-one other than Germany itself is responsible for taking on these risks.
Ist Deutschland selber schuld? Wenn in Deutschland aktive "neo-merkantilisitsche" Wirtschaftspolitiken mit einem Ziel von  hohen Exporten und niedrigen Exporten (sprich Aussenhandelsüberschüsse) verfolgt hat und dies zum Aufbau der Ungleichgewichte im Euroraum beigetragen hat, dann lautet die Antwort ja. Das heisst wenn die deutschen Aussenhandelsdefizite gegenüber dem Süden aufgebaut wurden und nicht gegen den Länder ausserhalb der Zone. Hier ist es egal ob ab 2008 sich die Aussenhandelsüberschusse verschoben haben.

Denn es ist schwierig zu glauben - wie de Grauwe und Ji ausführen - dass der Süden und die EZB Deutschland zu den Ausenhandelsüberschüssen gezwungen haben. In einer Währungsunion können solche Ungleichgewichte geringe Auswirkungen haben - wenn Umverteilung explizit (Finanzausgleich) oder implizit (Staatsausgaben werden symmetrisch verteilt) über die Fiskalpolitik läuft (wie in Nationalstaaten) - oder sehr problematisch sein, wenn es keine zentrale fiskalpolitische Autorität, die diese Ungleichgewichte buffern kann.

Die relevante Identität

 volkswirtschaftliches Sparen = Investitionen + Exporte-Importe

bedeutet nämlich letztendlich nur, dass bei Exportüberschüssen volkswirtschaftliches Sparen entsteht, welches sich in der Kapitalbilanz als Kapitalabfluss zeigen muss, wenn in Deutschland nicht die Investitionen ausgeweitet werden. Deutschland erwirbt Forderungen an ausländischem BIP. Wenn das von Jahr zu Jahr passiert ohne dass Wechselkurse oder höhere Kosten die Wettbewerbsvorteile ausgleichen führt dies zu Ungleichgewichten. Diese Ungleichgewichte können dazu beitragen, dass diese Forderungen riskanter oder gar uneinbringbar werden.

Diese Identität könnte auch anderes interpretiert werden. Es gibt natürlich die Möglichkeit aus dieser Identität die These abzuleiten, dass Deutschland zu den Aussenhandelsüberschüssen kam, weil das Ausland (Südeuropa) deutsche Ersparnisse abgezogen hat. Wenn man sich die Mechanismen anschaut, die heute im Süden Europas zur Anwendung kommen, ist das für mich wenig plausibel. Es scheint ziemlich schwer zu sein, Aussenhandelsdefizite in Aussenhandelsüberschusse zu verwandeln.

5 Kommentare:

  1. Die gesamte Target2 Debatte wird in dieser Linkliste / Linksammlung dokumentiert: http://www.robertmwuner.de/materialien_euro_literatur_target2.html

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  2. @ robert. die liste ist großartig!

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  3. könnte es sein, dass diese ganze target2-diskussion daher rührt, dass sich hier ein paar ökonomen einer unscharfen diktion bedienen?
    wenn ich das recht verstehe, dann hat sich "deutschlands" risikoposition nicht verändert. allerdings gibt es "deutschland" in dieser form nicht. "deutschland" ist ein statistisches artefakt, das über keine rechtspersönlichkeit verfügt.
    wie es scheint wurden (wieder einmal) forderungen privater rechtsträger, deren einbringlichkeit zumindest fragwürdig erscheint, auf einen öffentlichen rechtsträger übertragen (vulgo bail-out), inklusive (indirekter) haftung des steuerzahlers. so gesehen hat sinn recht, weil der deutsche steuerzahler zuvor (rechtlich gesehen) nicht gehaftet hat.
    comm.

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  4. @ commandante
    soweit ich weiss hat deutschland eine juristische rechtspersönlichkeit und ein budget. die deutschen steuerzahler müssen im Fall des Falles zuschießen ...
    In dem fall läuft der bail out über die EZB (Rettung der südeuropäischen Banken). Die deutschen banken haben mit der zeit ihre Risikopositionen im süden zurückgezogen. Somit ist das kein Bailout im traditionellen Sinn.

    Der eigentliche Punkt ist dass die volkswirtschaftlichen Kosten für Deutschland deutlich höher sind als allfällige Target2 Salden. Damit ist die ganze Target 2 Diskussion eigentlich irrelevant. Eine bessere Diskussion wäre "Kosten in der Eurozone zu bleiben" vs. "Kosten auszusteigen". Diese Kosten dafür sind aber deutlich schwerer zu beziffern (und mit deutlich höheren Unsicherheiten verknüpft) als die Targetsalden.

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  5. Nein, "stütze der Gesellschaft", "commandante" hat völlig Recht: Deutschland hat KEINE Rechtspersönlichkeit.

    Indes haben Sie ebenfalls Recht: Deutschland HAT eine j. P.

    Dass beide Positionen zutreffen, können leider die Teilnehmer der Target-Debatten (zu denen ich selber (als Laie) in letzter Zeit eine Reihe von Beiträgen geliefert habe - http://beltwild.blogspot.de/search/label/Target2) nicht nachvollziehen. Trotzdem ist es richtig.

    Entscheidend ist nämlich (und das scheint mir z. B. Prof. Sinn zu übersehen), welche Stelle die Forderung hält:
    - Forderungen des Staates (Griechenlandhilfe usw.) sind Forderung von Deutschland als Staat (juristische Person) gegen einen anderen Staat.
    - Die Target-Salden sind, ökonomisch betrachtet, Forderungen der deutschen Volkswirtschaft gegen andere Volkswirtschaften, und das sind eben keine j. P'n. (Allenfalls könnte man sagen, dass die BuBa als j. P. diese Forderungen hält, aber ökonomisch ist das irrelevant, und auf der Gegenseite haftet ja auch nicht die jeweilige Notenbank - was sollte sie uns für die Drachmen geben? -, sondern die Volkswirtschaft, bei der wir mit diesen 'Schuldscheinen' einkaufen können.)

    Bei einem Zerfall der Eurozone müssten sie richtiger Weise als Devisenreserven der BuBa behandelt werden, wobei es sich nicht wird vermeiden lassen, dass die BuBa sie nicht als "Alt-Euro" verbuchen kann, sondern als Drachmen usw. buchen muss (das ist letztlich Verhandlungssache, aber in diesem Punkt werden wir zurückstecken müssen). Das Risiko der BuBa würde bei einer solchen Entwicklung im Umrechnungskurs liegen.

    Zu der ganzen Thematik habe ich mich aber ausführlich in meinem Blog geäußert und will das hier nicht wiederholen.

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