Dienstag, 9. Oktober 2012

Strukturreformen und/oder Konsolidierungspakete?

Auf Vox EU hatte Coen Teulings einen interessanten Beitrag wo er fragt, ob Strukturreformen und fiskalischen Konsolidierung komplementär oder substitutiv sind. Im allgemeinen wird angenommen, dass diese Reformvorhaben komplementär sind.

Länder mit fiskalischen Problemen haben oft disfunktionale Arbeitsmärkte, Eintrittsbarrieren für ausländische oder neue unternehmen und erhebliche Verzerrungen und Ineffizienzen in ihren Steuersystemen. Um zukünftiges Wachstum sicherzustellen müssen institutionelle Strukturreformen angegangen werden. Aber wann sollen fiskalische Konsolidierungen und Strukturreformen angegangen werden?



Ich hätte argumentiert gleichzeitig. Konsolidierungen um den Druck von den Staatsfinanzen zu nehmen und Strukturreformen um zukünftiges Wachstum zu fördern.

Coen Teutlings argumentiert, dass dies nicht stimme. Je mehr fiskalische Konsolidierung durchgesetzt wird umso geringer sind die Möglichkeiten für institutionelle Reformen, denn Konsolidierungen und strukturelle Reformen führen zu negativen Vermögens- und Einkommenseffekten bei den gegenwärtigen Generationen. Dies führt zu einer Reduktion des Konsums .... kann derzeit in Italien beobachtet werden ... mit negativen Auswirkungen für die Lösung von fiskalischen Problemen. Die Staatsverschuldungsquote verringert sich weniger als erwartet.

Zu viel Sparen kann Strukturreformen gefährden. Klingt im ersten Moment etwas wirr, wenn man bei Strukturreformen an kleiner Arbeitsmarktreformen oder eine Reduktion der Gründungskosten denkt. Ist aber mit Strukturreform eine massive Arbietsmarktreform oder eine Pensionsreform gemeint, dann hat das Argument etwas an sich.

Teulings erklärt, dass eine Reduktion des Konsums zu Anpassungen führt, weg von inländischen (nicht international handelbaren) Gütern und Dienstleistungen hin zu Investitionsgütern und international handelbaren Gütern, die im abgesetzt werden können.

Diese Anpassungsprozess implizieren, dass Konsolidierungspakete und Strukturreformen Substitute sind. Je mehr man vom einen einsetzt, desto weniger kann man vom anderen einsetzen.

Die ökonomische Intuition dahinter ist, dass viele Strukturreformen Ineffizienzen angehen und ökonomische Renten vernichten. Diese ökonomischen Renten sind nicht nur Transfers von der Allgemeinheit zu spezifischen Gruppen (z.B. Apotheker, Taxifahrer, Elektriker) sondern haben auch einen Verteilungseffekt. Die Renten verteilen zukünftiges Einkommen in die gegenwärtige Generation um, denn die (expliziten oder impliziten) Preise der Lizenzen umfassen auch zukünftige Renten. Damit ist eine Liberalisierung/Strukturreform aber auch eine Umverteilung von der gegenwärtigen Generation hin zu zukünftigen Generationen.

Tuligngs bringt als Beispiel ist die steuerliche Absetzbarkeit von Hypothekarkrediten:
Interest payments on mortgages are tax deductible in the Netherlands. Since marginal tax rates are in the range of 40%-50%, the tax deduction pays for up to one half of the interest on mortgages. The yearly tax expenditures account for roughly 2% of GDP.
The Netherlands is a densely populated country with an extensive system of spatial planning. Housing supply is therefore highly inelastic. Hence, the implicit subsidy is likely to mainly increase the price of the existing stock of housing, rather than leading to much additional supply.
The upward effect on house prices is equivalent to the value of a cab license: both capture the net discounted value of future revenues, deductible interest payments in the first case, above market clearing prices for cab services in the second. Even assuming the discount rate to be as high as 10% (given the political risk of policy reform, this high value is not unreasonable), the net discounted value of future deductibility is 2%/10% = 20% of GDP.
Lower discount rates would lead to an even larger net discounted value. Case studies suggest a decline in the total value of the stock of residential real estate in response to an abolishment of mortgage deductibility in the order of magnitude of 20 % of GDP (Donders et al. 2010).
Note that this argument only relies on the tradability of claims on future tax-deductibility of mortgage interest payments. Hence, a balanced budget reform of mortgage deductibility (the lower tax expenditure on mortgage deduction being returned to the current generation of taxpayers via lower tax rates) will nevertheless imply a transfer of wealth from current to future generations. This transfer of wealth will obviously affect the path of aggregate consumption, from current consumption to future consumption.
(note to me: Sollte man auch für Österreich vertiefen. Mir schient die steuerliche Absetzbarkeit von Kreditzinsen führt nahezu wohin man schaut zu Ineffizienzen.)

Dies hat Implikationen für die südeuropäischen Länder, aber auch für Österreich. Wenn Strukturreformen notwendig sind, soll mit Strukturreformen beginnen um den Wachstumspfad zu heben. Sparpakete sind meist mit Steuererhöhungen verknüpft, die zu höheren gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten führen. Strukturreformen dagegen reduzieren Renten und damit Wohlfahrtsverluste.

Warum bevorzugen Politiker Konsolidierungen? Teulings meint, weil Konsolidierungen leichter zu überprüfen sind, als die Wirkung von Strukturreformen. Vielleicht aber auch - wie ich manchmal denke - weil Politikern gut organisierten Interessensgruppen lieber aus dem Weg gehen. Alle mit 2% höher zu besteuern scheint leichter zu sein, als gegen gut organisierte Lobbies wie Taxifahrer, Ärzte, Rechtsanwälte oder Apotheker vorzugehen.

Ist die Story die Teulings erzählt plausibel? Zumindest gut ökonomisch argumentiert ist sie auf jeden Fall. Diese Mechanismen sollten nicht unterschätzt werden. Und wenn die Staatsschuldenkrise nur ein Symptom für zugrundeliegende Ursachen ist, dann ist Teulings Argumentation noch etwas plausibler. Wenn die Ursachen nicht angegangen werden, bringt die Bekämpfung der Symptoms (Staatsschulden) in der Regel nur kurz Erleichterung, .

Bei wenigen der Südeuropäischen Ländern ist ein kurzfristig erfolgreicher Strukturwandel hin zu Investitionsgütern und international handelbaren Gütern überhaupt ansatzweise vorstellbar. Die Aussenhandelsdefizite sind immer noch zu groß. Strukturreformen zusammen mit einer Nachfragesteigerung im Inland erscheinen als plausibleres Szenario.

1 Kommentar:

  1. das hat man also davon, wenn man mittels gratisstudiums krethi und plethi zu abschlüssen in soziologie, politikwissenschaften, publizistik und theaterwissenschaften verhilft: hoch gebildete und organisationsfähige taxifahrer, die jeden noch so furchtlosen politiker vor strukturreformen im personengelegenheitsverkehr zurückschrecken lassen!

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