Sonntag, 29. März 2009

In den Untiefen des .... (Schellhorn edition)

Ich gebe 2 Euro für die Presse am Sonntag aus und es zahlt sich aus. Allein wegen Franz Schellhorn. Im neuesten Meinungsbetrag "Wem gehört die Krise" werden wieder einmal urbane Legenden strapaziert, die einer sorgfältigeren Prüfung nicht standhalten können. Um gegen die Linken auszuholen wird plötzlich implizit Versicherung zum Prinzip der Marktwirtschaft erhoben und die eher esoterische "Austrian Bussiness Cycle Theory" strapaziert. Fehlt nur, dass Franz Schellhorn sich für den Goldstandard und gegen das Mindestreserven-Bankwesen (fractional banking) ausspricht. O.K. damit gehe ich etwas zu weit. Allerdings hat Franz Schellhorn wenig Vertrauen in die Marktwirtschaft und in ökonomische Kalkulation in der Marktwirtschaft.

Schellhorn stellt die richige Frage:
Wem „gehört“ die Krise? Der entfesselten Marktwirtschaft, die solche Abstürze überhaupt erst möglich gemacht hat? Den Bankern, die faule Kredite zu undurchschaubaren Konstrukten gebündelt haben, um sie in aller Welt zu verscherbeln? Den Aufsichtsräten, die das alles zugelassen haben, ohne auch nur einmal nachzufragen, was denn da genau passiert? Den Ratingagenturen, die sich mit ihren Expertisen blamiert haben? Den Politikern, die für die Regulierung der Märkte verantwortlich sind und in dieser Rolle kläglich versagt haben? Oder war es Ex-US-Finanzminister Paulson, der Lehman pleitegehen ließ und damit einen „Jahrhundertfehler“ machte, wie der „Spiegel“ zu wissen meint?
Und gibt die falschen Antworten:
Die Antworten führen noch immer über die Frage, warum US-Banken eigentlich damit begonnen haben, Menschen Geld zu leihen, die schlecht verdienten und keinerlei Ersparnisse vorzuweisen hatten. Einer der Gründe war der politische Wille der Administration Clinton, dass auch einkommensschwache US-Bürger zu einem Eigenheim kommen sollten. Zweitens glaubte man, die Risken derartiger Hypothekarkredite mathematisch berechnen zu können. Und drittens war derart viel billiges Geld im Umlauf, dass sich fast alles problemlos finanzieren ließ und niemand blöde Fragen stellte.
Entscheidend war Punkt drei, die globale Geldschwemme. Um die Dimensionen einmal zu umreißen: Laut Schätzungen der Unternehmensberater von McKinsey lagen die weltweiten Ersparnisse im Jahr 1995 bei 66.000 Milliarden Dollar. Fünf Jahre später erreichten sie bereits 94.000 Milliarden – und weitere sechs Jahre später 170.000 Milliarden Dollar. Innerhalb von knapp zehn Jahren hat sich die nach Veranlagung strebende Geldmenge also nahezu verdreifacht.
(...)
Die Fed machte also genau das, was die politischen Einpeitscher der Wochenenddemos (allen voran Attac) seit Jahren von der Europäischen Zentralbank fordern: Sie „pfiff“ auf die Stabilität des Geldes und betrieb ungeniert Konjunkturpolitik. Womit viele der verärgerten Bürger vergangenes Wochenende zu einem beträchtlichen Teil gegen sich selbst demonstrierten.

Wenn wir also schon von einem Jahrhundertfehler sprechen wollen, dann ist dieser wohl durch die verheerende Intervention der staatlichen Geldpolitik passiert. Durch die gesenkten Zinsen wurden US-Staatsanleihen für Anleger uninteressant.
(...)
Versagende Märkte? Die Märkte versagten keineswegs, sie funktionierten leider prächtig und lenkten die Geldströme effizient in den boomenden Häusermarkt um. Während sich Staatspapiere kaum noch rentierten, konnte mit Krediten an Hausbesitzer ordentlich Geld verdient werden. Noch dazu, da diese Kredite fast risikolos schienen. Die Häuserpreise stiegen aufgrund der hohen Nachfrage immer weiter, und die Banken bündelten die Kredite, verkauften sie rund um den Globus, wodurch sich das Ausfallrisiko minimieren sollte.
Meine Antwort:
1. Es ist unsinnig anzunehmen, dass das US Finanzsystems wegen des Zuflusses an ausländischen Kapital in der Höhe von 5 % des US BIP plötzlich unfähig geworden sein soll, dieses Geld vernünftig zu allozieren - während das amerikanische Finanzsystem ein Vielfaches an inländischen Sparen effizient alloziert hat. Ein solches Finanzsystem wäre/ist nicht effizient und effektiv sondern strukturell so instabil, dass es so oder anders in regulatorische Fesseln gelegt werden müsste.

2. Die Rolle der Geldpolitik ist etwas überschätzt. Zunächst kommt das Argument von John Taylor - dem Begründer der Taylor-Regel, der sagt, dass die Federal Reserve 2001-2005 eine zu expansive Geldpolitik gefahren ist. Folgende Grafik gibt das Argument wieder:
Allerdings gibt es nicht nur eine Taylor-Regel. Diese sind theoretisch auch nicht unumstritten, denn sie bekämpft den Inflation-bias der Nationalbank aber nicht den Deflation-bias der Nationalbank in Situationen die einer Liquiditätsfalle Nahe kommen (1,2,3). Adriana Z. Fernandez and Alex Nikolsko-Rzhevskyy von der Federal Reserve Dallas zeigen 2007, dass zwar einige Taylor-Regeln Taylors vorbehalt bestätigen, andere aber nicht.
Damit ist die ganze Angelegenheit nicht mehr so einfach entscheidbar. Und es wird dabei vielleicht etwas zuviel Vertrauen in die Wirksamkeit und die Allheilkräfte von Geldpolitik gelegt. Eine kollektive Geldpolitikillusion sozusagen.

3. Die Aussage, dass die Geldschwemme zu unvorsichtigen Standards bei der Kreditvergabe geführt hat und zu Betrug leuchtet mir nicht ein. Besonders nicht der Satz, dass die Märkte ja funktioniert hätten. Hier zeigt Schellhorn, dass er wenig Zuversicht in die Arbeit von Finanzmärkten hat. Sind alle Banker und Unternehmer so blöd, dass sie das nicht erkennen und von der Zentralbank so einfach in die Irre geführt werden können? Daran glaube ich nicht, ausser die Erwartungen gehen ausser Kontrolle, Anreize von Bankangestellten sind falsch ausgerichtet & keiner - besonders nicht die Regulatoren - scherten sich um ein systemisches Risiko. Warum sollte in so einem Fall die Federal Reserve mehr wissen als alle Banker, Unternehmer und Finanzmarktakteuer zusammen?

Ich denke da eher an Staatsversagen wegen ungenügender Regulierung. Aus dem lesenswerten Kommentar von Esther Duflo auf VOX-EU:
Two Chicago economists (Mian and Sufi 2008) have (... analysed....) loans outstanding at the district level. They found that the growth of outstanding loans was particularly strong between 2002 and 2007 in areas where the loans were securitised in greater numbers and sold to financial institutions other than banks (investment funds for example). This suggests that banks have benefited from the lack of expertise of these new buyers to sell at a high price loans they knew were fragile. They kept (or sold to other banks) the safest securities. This has helped to weaken both the institutions and the entire financial system, causing an underestimation of the systematic risk of non-payment. (...) Banks were much more careful when selecting and monitoring customers for loans for which they held the responsibility than for those loans they thought they could sell easily.
Also das und die verfehlte Regulierung bei Verbriefungen, Credit Default Swaps, ...., und Ratingagenturen riecht mehr nach fundamentalen Regulierungsfehlern als nach "saving glut" und zu niedrigen Zinssätzen. Im übrigen vergeben Banken ihre Kredite selten mit Hilfe des Preismechanismus kompetitiv sondern rationieren ihre Kreditvergabe (Stiglitz und Weiss sagen dass das ineffizient sei - DeMeza meint dass das effizient sei). Damit ist das Argument, dass die Märkte effizient funktioniert hätten aber irgendwie falsch. Was Schellhorn als Funktionieren der Märkte bezeichnet ist ein Versagen der Banken und Regulierungsstellen bei der FED, der SEC, etc.

Aber Schellhorn spricht sich auch gegen die Verwendung mathemathischer Modelle zur Riskobewertung aus:
Das bestätigten auch Rechenmodelle, die von Eliteuniversitäten erstellt wurden. Leider basierten diese mathematischen Warnsysteme auf falschen Annahmen – sie rechneten die Ausfallquoten der letzten Jahre hoch und kamen zu dem Schluss, dass es im Schnitt bei zwei von 100 Kreditnehmern zu einer Zwangsvollstreckung käme. Im schlimmsten Fall, so die Annahme, würden zehn Prozent der Hypothekarkredite abzuschreiben sein. Nicht berücksichtigt wurde, dass sich längst Menschen ein Eigenheim finanzieren konnten, denen vor wenigen Jahren kein Cent geliehen worden wäre. Heute werden Kreditausfälle von bis zu 40 Prozent und mehr erwartet.
Nun zunächst wurden diese Rechenmodelle nicht von Eliteuniversitäten konzipiert, sondern vor allem auch von spezialisierten Unternehmen. Das Problem waren nicht primär die Ausfallrisiken, sondern die relative Wahrscheinlichkeit des systemischen Risikos - Platzen der Immobilenblase etc. Sollte Esther Duflo recht haben, so war da ein bisschen ein Schneeballsystem (Ponzi-Schema) im Gange & das heisst letztlich Betrug durch die Umgehung von Regulierungen und kurzfristigen Anreizverträgen (Keilerverträge). Dafür kann nun nicht die Geldpolitik oder die matematischen Modelle verantwortlich gemacht werden, eher noch irrationaler Überschwang.
Und zum Abschluss:
Auch die Ratingagenturen rechneten mit falschen Annahmen. Ebenso die Aufsichtsräte der Banken, die staatlichen Regulierungsbehörden und die Investoren in aller Welt. Wir haben es hier also mit einem multiplen menschlichen Versagen zu tun. Das ist unerfreulich, kommt aber leider immer wieder vor. So komplex die Thematik ist, so einfach ist die Klärung der Schuldfrage. Es ist so wie im Sport: Gewinnen tun „wir“ – verlieren immer die anderen.

Es ging eben nicht nur um falsche Annahmen, es ging um die Funktionalität des Finanzsekors. Ineffiziente Regulierung für Rating-Agenturen - einer der wenigen Märkte wo Wettbewerb disfunktional ist. Ineffiziente Regulierungsagenturen, die Regulierungsarbitrage zugelassen haben. Und wenn Ökonomen von ineffizient großen Finanzsektoren sprechen, dann kann von den Usachen viel gelernt werden - wieder Esther Duflo, eine Arbeit von Thomas Philippon zitierend:
What the crisis has made bluntly apparent is that all this intelligence is not employed in a particularly productive way. Admittedly, a financial sector is necessary to act as the intermediary between entrepreneurs and investors. But the sector seems to have taken a quasi-autonomous existence without close connection with the financing requirements of the real economy. Thomas Philippon calculates that the financial sector, which accounts for 8% of GDP in 2006, is probably at least 2% above the size required by this intermediation. (...)
More pragmatically, the disappearance of their exorbitant earnings may encourage younger generations to join other industries, where their creative energies would be socially more useful. The financial crisis could plunge us into a severe and prolonged recession. The only silver lining is that it could cause a more realistic allocation of talents. One must hope that the bail-out packages in Wall Street and in Europe does not convince the best and brightest that the financial sector is still their best option.

1 Kommentar:

  1. Anonym13:48

    Hehe. Hoffentlich ist das ein Auftakt für eine Regelmäßige Schellhorn-Berichtigungsserie.

    Schellhorn:
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    sie rechneten die Ausfallquoten der letzten Jahre hoch und kamen zu dem Schluss, dass es im Schnitt bei zwei von 100 Kreditnehmern zu einer Zwangsvollstreckung käme.
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    Ja, was sollen die Banker denn sonst machen? Würfeln? Das ist doch letztlich das Grundprinzip des Bankenwesens.

    Schellhorn:
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    Abgesehen von vernichteten Arbeitsplätzen und verlorenen Börsenwerten werden wir alle noch über Jahrzehnte hinweg für die heute aufgenommenen Schulden bezahlen, die zur Krisenbekämpfung eingesetzt werden. Und das gleich doppelt: erstens über höhere Steuern, um die Zinsen für die neuen Schulden begleichen zu können, und zweitens über eine Teuerungswelle, die nach Ende der Krise über unseren Köpfen hereinbrechen wird.
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    Das ist doch ein Widerspruch. Falls die Inflation anzieht, sollten auch die Schulden leichter rückzahlbar werden.

    - dieter

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