Donnerstag, 1. November 2012

Koordinierte Sparpakete als Rezept zum (ökonomischen) Selbstmord?

In einem VOX EU Beitrag legen Dawn Holland und Jonathan Portes einen Betrag vor, der für Europa zeigt, dass eine konzertierte Sparpolitik zur Senkung der Schuldenquote (Schulden/BIP) unsinnig sei, denn sie führe zu einer Erhöhung der Schuldenquote.

Die Ergebnisse beruhen im wesentlichen auf modifizierten Multiplikatoren und wurden auf Basis eines ökonometrischen Modells ermittelt. In einem Modell, welches jedes Land separat geschätzt wird. Im Paper von Dawn Holland (pdf) sind Details und die Multiplikatoren für die "Baseline-Simulation" dargestellt. Die Multiplikatoren sind im Modell nicht fix vorgegeben sondern ergeben sich aus der Interaktion von Konsum, Aussenhandel usw. Hier sind die Erstrundeneffekte (Multiplikatoren) für eine Reduktion der Staatsausgaben bzw. Reduktion der Einkommenssteuern:


Österreich liegt dabei im unteren Mittelfeld. Eine Reduktion des Budgets im Ausmaß von 1% des BIP würde in normalen Zeiten zu einem Rückgang des BIP von 0.52% des BIP führen. Deutschland hat einen deutlich höheren Steuermultiplikator als Österreich. Auf Basis dieser Ergebnisse würde sich für viele Länder (außer vielleicht Griechenland und Spanien) ein Sparprogramm auf Basis von Staatsausgaben lohnen. Steuersenkungen hätten viel geringere Erstrundeneffekte. Die "geschlossene" Volkswirtschaft USA hat deutlich höhere Erstrundeneffekte.

Allerdings so Holland und Portes klammert dies aus, dass wir in nicht-normalen Zeiten sind:
  • Eine entgegenkommende Geldpolitik ist nicht möglich, normalerweise werden massive Budgetkonsolidierungen durch eine etwas lockere Geldpolitik für die Gesamtwirtschaft verträglicher gemacht. Dies ist derzeit kaum vorstellbar. Die Zinsgrenzen sind +/- erreicht und quantitatives Lockern findet bereits statt. 
  • Die Haushalte (insbesondere in den Krisenstaaten) sind liquiditätsbeschränkt (Arbeitslosigkeit, höhere Unsicherheiten). Folge ist, dass der Konsum nicht über die Zeit geglättet werden kann. Wie das normalerweise passiert.
Darüberhinaus hat eine konzertierte Sparanstrengung auch Netzwerkeffekte, denn das Sparen findet in stark miteinander vernetzten Volkswirtschaften statt (Importe und Exporte). Diese sollte die negative Wirkung der Sparanstrengungen noch verstärken. 

Sie schätzen dann ihr Modell mit den geplanten Konsoldierungsmaßnahmen 2011 bis 2013 für drei Jahren in zwei Szenarien: 
  1. Szenario 1 ist wenn die konzertierten Sparvorhaben unter normalen Umständen durchgeführt werden (entgegenkommende Geldpoltiik) und kaum liquiditätsbeschränkte Haushalte. 
  2. Szenario 2 sieht keine Änderung der Geldpolitik vor und ein größerer Teil der Haushalte ist liquididätsbeschränkt. 
Die Ergebnisse sind: Auswirkungen auf das BIP in den drei Jahren. Die Zahlen sind % sind Abweichungen vom BIP-Niveau der Basislösung (Lösung ohne Sparpakete):


Für Österreich hatte die Budgetkonsolidierung in Szenario 1 kaum eine Auswirkung. 2013 wäre das BIP um ca 0,3% niedriger, als wenn keine Budgetkonsolidierungsmaßnahmen durchgesetzt worden wären. In Szenario 2 sind die Auswirkungen dagegen deutlich sichtbar: -2,9% von der Basislösung. Für Deutschland ähnlich: statt -0,1% -2,2%. Für die Eurozone als Ganzes ist der Effekt eine Verdoppelung des BIP-Verlustes: stat -1,7% wäre es -4%. Die Sparpolitik hemmt das Wirtschaftswachstum. 

Die Bombe ist aber folgendes Ergebnis, welches zeigt, dass im 2. Szenario die Staatsschuldenquoten nicht sinken, sondern steigen. Der BIP Einbruch hebt die Effekte der Konsolidierungseffekte auf. 

Wenn dieser Fall Eintritt wird es in den meisten Ländern nicht zu einem Sinken der Zinsen für Staatsschulden kommen.

Zur Verdeutlichung, die Dynamik der Staatsschuldenquote ist (bei konstanten Zinsen):

Änderung Staatschuldenquote = (r-g) Staatschuldenquote (t-1) + primäres Defizit. 

r=Zinsen, g=Wachstumsrate des BIP und das primäre Defizit ist das Haushaltsdefizit ohne Schuldendienst. 

wenn r-g groß ist (bei negativen Wachstumsraten per definition) und Staatschuldenquote hoch ist (wie in den meisten Europäischen Ländern) kann auch ein hoher Primärüberschuss die Staatschulden nicht in Schach halten. Konzertierte Konsolidierung ist eine zweitbeste Idee um die Eurozone zu stabilisieren. Holland und Portes schreiben:
The direct implication is that the policies pursued by EU countries over the recent past have had perverse and damaging effects. Our simulations suggest that coordinated fiscal consolidation has not only had substantially larger negative impacts on growth than expected, but has actually had the effect of raising rather than lowering debt-GDP ratios, precisely as some critics have argued. Not only would growth have been higher if such policies had not been pursued, but debt-GDP ratios would have been lower.
It is particularly ironic that, given that the EU was set up in part to avoid precisely such 'prisoner's dilemma' type problems in economic policy coordination, it should currently be delivering the exact opposite. Current policy looks less like optimal coordination – and more like a suicide pact.
Die von Holland und Portes vorgelegte Evidenz zeigt, dass konzertiertes Sparen nicht sinnvoll ist. Allerdings ist mir auch nicht ganz klar, ob für Krisenländer wie Spanien oder Griechenland eine expansiven oder unveränderten Fiskalpolitik wirklich eine Möglichkeit wäre. Das Sparparadox in interdependenten Volkswirtschaften, das erfordert Koordination. In einer geschlossenen Volkswirtschaft wäre expansive Fiskalpolitik und eine Änderung der Wechselkurse angesagt um die inländische Nachfrage zu stabilisieren. Da sich Europa nicht koordinieren kann, scheint die Geldpolitik die einzige Hoffnung ...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen