Kaum jemand mag Steuern zahlen. Auch ich nicht. Und noch weniger mag man die kalte Progression, die Jahr für Jahr die Steuersätze antreibt. Interessanterweise wird sie gerade jetzt thematisiert, wo die Inflation im langfristigen Vergleich eh unterdurchschnittlich ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Wenn ein Steuersystem nicht inflationsindexiert ist, dann gibt es immer wiederkehrende Diskussionen um die Steuerreformen, die allein dem Ausgleich der kalten Progression dienen.
Wie jetzt wieder in Österreich. Einige fordern Steuerreformen, wo der Ausgleich der kalten Progression auch zu mehr Gerechtigkeit bei der Einkommensverteilung führen soll. Die jetzt vorgelegten Vorschläge von
AK und ÖGB gehen in diese Richtung. Den Informationen aus den Zeitungen entnimmt man, dass es vor allem um die Entlastung kleinerer Einkommen gehen soll. Der
ÖAAB dagegen möchte seine Mitglieder, d. h. den Mittelstand entlasten. Bei der Gesamtbetrachtung sollte man auch immer die Sozialabgaben mit einbeziehen (
1).
Steuerreformen brauchen trotz kalter Progression Gegenfinanzierung. Nach ÖGB Vorschlag sollen die 6 Mrd. Steuereinsparungen (von ca. 43 - 45 Mrd. Einkommenssteuern) durch Vermögenssteuern (2 Mrd.), Verwaltungsreformen und das Abschaffen von Steuerprivilegien (2 Mrd.) und dem Kampf gegen die Schattenwirtschaft (1 Mrd.) finanziert werden. Keine Ahnung ob dies realistisch ist. Auch die Steuerreform selbst soll dazu was beitragen Wie der
Kurier schreibt soll rund eine Milliarde der rund 6 Mrd. Steuerersparnisse durch die Steuerreform selbst finanziert werden.
Allerdings positionieren sich der ÖVP Wirtschaftsbund und der ÖAAB weiterhin gegen Vermögenssteuern.
Ulrich Schuh vom industrienahen Forschungsinstitut
ecoaustria spricht auch davon, dass eine Steuerreform auch obere Einkommen entlasten müsse damit sich eine positive Wirkung aufs Wirtschaftswachstum ergeben kann.
Aber haben Steuerreformen wirklich große Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum? Es wird manchmal argumentiert, dass niedrigere Steuern das unternehmerische Potential entfesseln würden, so auf der findet sich auf Homepage von
Agenda Austria folgende Aussage:
Dabei brauchen Steuersenkungen so etwas (gemeint ist die Gegenfinanzierung) für gewöhnlich nicht, sie finanzieren sich weitgehend selbst. Wie etwa die Absenkung der Körperschaftsteuer von 34 auf 25 Prozent im Jahr 2005. Schon im ersten Jahr waren die Einnahmen höher als zuvor, drei Jahre später kassierte der Staat um ein Fünftel mehr KöSt als im Jahr 2004 – mit dem niedrigeren Steuersatz. Genauso wäre das auch bei einer spürbaren Senkung der hohen Steuern auf Arbeit: Steuermoral und Leistungsbereitschaft steigen, die Konsumfreude ebenso, damit auch die wirtschaftliche Dynamik und die Beschäftigung.
Sind also die Vorschläge der AK und des ÖGB zur Gegenfinanzierung zu pessimistisch und dienen nur dazu den Staat noch größer zu machen? Auf dem BLOG von
Agenda Austria steht da aber noch:
Und sollte sich in der Staatskasse dennoch ein Loch auftun, gibt es ein weltweit erfolgreich erprobtes Mittel, dies zu stopfen: niedrigere Ausgaben der öffentlichen Hand. Wer nicht Steuerlasten umverteilen, sondern sie tatsächlich senken will, muss bereit sein, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren.
Ah. Schon ein wenig glaubwürdiger.
Ein Blick in akademische Literatur zeigt uns, dass die vollkommene Selbstfinanzierung von Steuerreformen eher in die Kathegorie moderne Märchen gehört. So schreibt
Thomas Hungerford (2012) vom Congressial Budget Office in den USA:
The results of the analysis suggest that changes over the past 65 years in the top marginal tax rate and the top capital gains tax rate do not appear correlated with economic growth. The reduction in the top tax rates appears to be uncorrelated with saving, investment, and productivity growth. The top tax rates appear to have little or no relation to the size of the economic pie.
Also eher Umverteilung (division of the pie) als Wachstum (size of the pie). Expliziter ist der Beitrag von
Birch Sörensen, der für Schweden die Selbstfinanzierungsraten von Steuersenkungen analysiert hat. Das Ergebnis ist hier:
Diese Analyse schaut auf die langfristige Selbstfinanzierung, nicht kurzfristige konjunkturelle Effekte. Laut dieser Analyse haben Konsumsteuersenkungen den geringsten Selbstfinanzierungsgrad (22%) gefolgt von Steuern auf Arbeit (32,8 %). Unternehmenssteuern und insbesondere die Besteuerung von Ersparnissen hat langfristig negative Effekte. Interessanterweise kommt der stärkste Beitrag jeweils von den Arbeitseinkommen (auch bei den Unternehmenssteuern - das zeigt, dass Arbeit eh schon einen Teil der Unternehmenssteuern schultern muss).
In Birch Sörensens Analyse kommen die Selbstfinanzierungseffekte durch die Reduktion der Wohlfahrtsverluste der Besteuerung zustande, die dann reale Effekte haben können. Der Wachstumseffekt der Steuer ergibt sich daraus, dass Anreize verbessert werden. Die Gegenfinanzierung durch neue Steuern ist hier nicht berücksichtigt und die Wirkung durch mögliche Ausgabeneinsparungen (die über die Ausgabenkategorien hinweg unterschiedlich sind) auch nicht. Daher eigenen sich diese Ergebnisse nicht wirklich dafür genau einzuschätzen wie hoch die Selbstfinanzierungskraft der vorgeschlagenen Steuerreformen ist. Auch die Reduktion von Steuerprivilegien hat Anreizwirkungen die zu
Steuervermeidung führen kann. Spezifische Steuern haben auch sehr spezifische Wohlfahrtsverluste und (Ab-)Lenkungseffekte. Letztlich müssen Steuerreformen in der Realität langfristig irgendwie gegenfinanziert werden (Ausgabensenkungen oder Einnahmeerhöhungen).
Die Selbstfinanzierung ist nicht unbedingt mit Wachstumseffekten gleichzusetzen aber jeder hofft auf langfristige Wachstumseffekte.
Gale und Samwick von Brookings haben einen interessanten Überblick zu Steuern und Wirtschaftswachstum vorgelegt und schliessen ihre Diskussion der verfügbaren empirischen Evidenz mit der folgenden Einschätzung:
The argument that income tax cuts raise growth is repeated so often that it is sometimes taken as gospel. However, theory, evidence, and simulation studies tell a different and more complicated story. Tax cuts offer the potential to raise economic growth by improving incentives to work, save, and invest. But they also create income effects that reduce the need to engage in productive economic activity, and they may subsidize old capital, which provides windfall gains to asset holders that undermine incentives for new activity.
Alles ist möglich und alles hängt von Kompensation der Anreizwirkung ab. Interessant finde ich das Argument, dass sich negative Anreizwirkungen einer Steuersenkung ergeben können, wenn altes Kapital (z.b. Bestand) gegenüber neuem Kapital (Unternehmen) steuerlich besser gestellt wird.
Aus dieser Studie kann man eine Gegenüberstellung der Änderungen in den Höchststeuersätze und das Wirtschaftswachstum von entwickelten Ländern im internationalen Vergleich herausgreifen. Hier braucht man mal keine komplexe Statistik um zu sehen, dass kaum ein Zusammenhang zwischen Senkung von Spitzensteuersätzen und langfristigem Wirtschaftswachstum gegeben ist:
Moral von der Gschicht: Die Selbstfinanzierung von Steuerreformen ist eher gering und hängt von der Struktur der Steuerreform ab. Nicht alle Steuern haben die gleichen Selbstfinanzierungseffekte oder die gleichen Effizienz- bzw. Wachstumswirkungen. Aus dem Grund wäre ich für eine explizite Berücksichtigung der Inflation im Steuersystem. Die
Schweiz interessante Lösungen in Bezug auf die Indexierung von Tarif und/oder Abzügen auf Bundes- und Kantonalebene anzubieten. Dann könnten wir auch ohne (manchmal unnotwendig laute und lähmende) Reformdiskussion real immer gleich viel Steuern auf unser Einkommen zahlen.