Samstag, 18. Oktober 2014

Welches Modell haben Sie mein Herr?

bzw. meine Dame. Paul Krugman schreibt über Methodik und Markoökonomie. Er wendet sich gegen den Vorwurf, dass "das Versagen der Makroökonomie" auf die Verwendung von Modellen zurückzuführen sei. Ein (gutes) Modell schafft die notwendige Transparenz um die Interaktion (auch etwas komplexerer) kausaler Mechanismen übersichtlich und explizit darstellen zu können. Dies verbessert auch die Möglichkeit die Aussagen (Prognosen) logisch und empirisch zu überprüfen:
First of all, whenever somebody claims to have a deeper understanding of economics (or actually anything) that transcends the insights of simple models, my reaction is that this is self-delusion. Any time you make any kind of causal statement about economics, you are at least implicitly using a model of how the economy works. And when you refuse to be explicit about that model, you almost always end up – whether you know it or not – de facto using models that are much more simplistic than the crossing curves or whatever your intellectual opponents are using.
Think, in particular, of all the Austrians declaring that the economy is too complicated for any simple model – and then confidently declaring that the Fed’s monetary expansion would cause runaway inflation. Whatever they may have imagined, they were in practice using a crude quantity-theory model of the price level. 
And as I have often tried to explain, the experience of the past six years has actually been a great vindication for those who relied on a simple but explicit model, Hicksian IS-LM, which made predictions very much at odds with what a lot of people who didn’t use explicit models were sure would happen. 
Suppose that you didn’t know about IS-LM and the concept of the liquidity trap. You would (and many did) look at the growth of the monetary base, and predict huge inflation:



And you could (and many did) look at government borrowing, and predict soaring interest rates:



But if you understood IS-LM, you realized that both the relationship between money and inflation and the relationship between borrowing and interest rates break down at the zero lower bound; and so they did. 
If you don’t think these successful predictions are a big deal, go back and read the dismissive, vituperative comments those of us who predicted low inflation and interest rates faced back in 2009. 
And a somewhat related point: when people claim to have a sophisticated understanding that transcends models, what, exactly, would they ever regard as evidence that their sophisticated understanding is, you know, wrong?

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Sentences to ponder (econometrics)

Mark Thoma sagt, warum Ökonomen erste ökonometrische Evidenz immer nur als das sehen sollen was sie ist, nähmlich erste emirische Evidenz:

There's a version of this in econometrics, i.e. you know the model is correct, you are just having trouble finding evidence for it. It goes as follows. You are testing a theory you came up with, but the data are uncooperative and say you are wrong. But instead of accepting that, you tell yourself "My theory is right, I just haven't found the right econometric specification yet. I need to add variables, remove variables, take a log, add an interaction, square a term, do a different correction for misspecification, try a different sample period, etc., etc., etc." Then, after finally digging out that one specification of the econometric model that confirms your hypothesis, you declare victory, write it up, and send it off (somehow never mentioning the intense specification mining that produced the result). 
Too much econometric work proceeds along these lines. Not quite this blatantly, but that is, in effect, what happens in too many cases. I think it is often best to think of econometric results as the best case the researcher could make for a particular theory rather than a true test of the model.
Dazu fällt mir immer noch ein, dass die Duhem-Quine-These bekanntlich besagt, dass Theorien im Allgemeinen aus einer Reihe verknüpfter Aussagen bestehen, und durch Beobachtungsdaten nicht vollständig bestimmbar sind. Daher lassen sich Theorien nicht durch einzelne Beobachtungen und/oder Experimente verifizieren oder falsifizieren. Es braucht in der Regel mehr als eine empirische Studie. Allerdings gilt das nicht für Aussagensysteme, die logisch inkonsistent sind, keinen praktischen Nutzen haben oder nicht überprüfbar sind.

Dienstag, 14. Oktober 2014

Der Nobel für Jean Tirole

war im nachhinein gar nicht so überraschend. Auch ich habe mich in Studienzeiten durch seine "Theory of industrial organization" gequält. Was mir damals nicht gefallen hat, war das Fehlen eines einzelnen einfachen Referenzmodells, welches unvollständigen Wettbewerb einfach analysieren lässt. Stattdessen hunderte unterschiedlicher Modelle, die für Faktoren bestimmte Branchen formal darstellen, die aber irrelevant für andere Branchen. Das Fehlen einer "einfachen" übergreifenden Theorie hat mich damals gestört. Heute weiss ich gerade das zu schätzen. Details sind essentiell und unvollständiger Wettbewerb und Regulierung sind kompliziert. Wenn man die schöne abstrakte Welt des vollkommenen Marktes verlässt, begibt man sich in die unordentliche Realität, in denen Märkte von wenigen Unternehmen bedient werden, die ihre Marktmacht ausspielen wollen, Unternehmern, die Regulatoren und Konkurrenten an der Nase herumführen wollen und Wettbewerbshüter (Regulatoren) die durch unvollständige Information, politische Beschränkungen und ihren eigenen Schwächen beschränkt sind. Dabei hat Tirole einen wichtigen Betrag geleistet. Justin Wolfers:
 While the previous generation of economists had been engaged in the search for very simple rules that could apply to the regulation of all markets, Mr. Tirole has shown that the right rule for protecting the public interest depends critically on the details of a market. 
Das heisst, jeder Markt ist ein bisschen anders, manchmal auf sehr wichtige weise ein bisschen anders. Der Wettbewerb am Markt für Holzspielzeuge hat wenig damit zu tun wie Google agiert. Besonders wichtig waren da die Arbeiten zu zweiseitigen Märkten (two-sided Markets), die in der Internetbranche (aber nicht nur) eine wichtige Rolle spielen. Google, Facebook stellen (eigentlich teure) Dienstleistungen den Konsumenten gratis zur Verfügung, damit sie Werbeeinnahmen auf der anderen Seite des Marktes abschöpfen können. Je mehr Konsumenten umso größere Werbeeinnahmen. Mit diesen Modellen kann man diese Strategien einfach rationalisieren und Wohlfahrtseffekte analysieren.

Tirole sagt somit, dass Märkte sehr unterschiedlich sind. Markt ist nicht gleich Markt. Seine Arbeiten zur Regulierung laufen nicht auf ein einheitliches Modell hinaus. Das Buch zur Regulierung von Telekommunikationsmärkten geht auch in technische Details und zeigt auch deutlich, wie auch von  Matthew Inglesias es gut beschrieben:
One takeaway from Tirole's work on regulation in general is that to a greater extent than people appreciate, policy problems sometimes exist because the questions are genuinely difficult rather than because policymakers are corrupt or feckles.
Meine Übersetzung: Allzu einfache Erklärungen reichen eben nicht immer aus. Regulierung ist schwierig und Details sind wichtig, auch in der (Wirtschafts-)Politik. Ähnlich sieht es auch Tyler Cowen, der schreibt "many of [Tirole's] papers show 'it's complicated,' rather than presenting easily summarizable, intuitive solutions which make for good blog posts."

Donnerstag, 9. Oktober 2014

Tourismuszone, Öffnungszeiten und seltsame Arbeitszeiten

In Wien gibt es derzeit eine Diskussion um die Einführung von Tourismuszonen. Die Wirtschaftskammer ist dafür, aber nicht alle Unternehmer. Der sozialdemokratische Unternehmerverband ist mehrheitlich gegen, der schwarze Wirtschaftsbund mehrheitlich dafür, wie die Presse schreibt. Die Gewerkschaft der Handelsangestellten ist dagegen. Ökonomische Analysen zeigen in der Regel, dass Sonntagsöffnungszeiten Beschäftigung, Umsätze und die Anzahl von Geschäften in den deregulierten Branchen/Zonen hat (z.b. 1). Allerdings zeigt Goos, dass dieser Effekt wahrscheinlich durch Beschäftigungsreduktionen, Umsatzreduktionen und Reduktionen der Geschäfte in nicht de-regulierten Branchen/Zonen wieder ausgeglichen wird. Die Tageswoche schreibt, dass in der Regel vor allem der Lebensmittelhandel profitiert und die grossen Ketten auf weitere Liberalisierungen drängen. Insgesamt spricht allerdings wenig gegen Sonntangsöffnungzeiten. Härterer Wettbewerb führt in der Regel zu Vorteilen für die Kunden. Allerdings kann man ausser in Tourismuszonen davon ausgehen, dass Konsumenten da Öffnungszeitenänderungen ihr Konsumbudget grossartig verändern, ausser vielleicht ein wenig die Zusammensetzung ihrer Einkäufe. Allerdings werden Geschäfte, die nicht mitmachen können (oder dürfen) Marktanteile verlieren. In Tourismuszonen erhofft man sich positive Effekte durch Touristen, die sonst nicht einkaufen würden.

Das Argument, warum die Gewerkschaft dagegen ist, könnte mit der Argumentation von Hamermesh und Stancarelli auf VOX-EU zusammenhängen. Sie fragen, warum Amerikaner seltsamere Arbeitszeiten haben als Europäer (mehr Arbeit an Wochenenden und in der Nacht). Ihre Ergebnisse zeigen, dass Öffnungszeitenregulierungen (Nachtöffnung, Sonntagsöffnung) den wichtigsten Beitrag zur Erklärung dieser Unterschiede bietet:
Why are Americans so much more likely to work at strange times than Europeans?The results here show that it is not because Americans work more than Europeans. 
  •  One cause might be the greater inequality of earnings in the US that induces low-skilled workers earning relatively less than low-skilled Europeans to desire more work at times that pays a wage premium. 
  •  Another possibility is cultural, so that Americans just enjoy working at these times more than their European counterparts. But citing cultural differences is an easy way to avoid thinking or doing anything about an issue. 
Many European countries impose penalties on work at nights and on weekends, with some of the penalties being quite severe (Cardoso et al. 2012). (...) Work at different times of the week is substitutable, and employers are responsive to changing incentives to alter the timing of work. But that evidence also shows that even substantial incentives do not produce huge changes in work timing. If we really want to reduce the amount of work that occurs at times that are viewed as unpleasant, the solution may be to revert to the shop-closing laws (Blue Laws) that prevailed in the US years ago. No free-marketer would like this, but it may well be worth reviving these laws in order to get the US out of what might be a low-level, rat-race equilibrium.
Die gesamtwirtschaftlich Wohlfahrtseffekte von Öffnungszeiten können dennoch positiv sein. Sie hängen letztlich davon ab wie die positiven Effekte, dass Konsumenten auch am Sonntag einkaufen können, die zusätzlichen Einkommen durch Touristen und negativen Effekte auf Geschäfte außerhalb der Tourismuszonen bzw. die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer bewertet werden.

Dienstag, 7. Oktober 2014

Können Strukturreformen die Zone bretten?

Viele Beobachter argumentieren, dass Strukturreformen notwendig sind um die Eurozone langfristig zu stabilisieren. Die EZB und die Bundesbank  (1,2,3), die EU Kommission, Hans-Werner Sinn (1,2) oder auch Raiffeisen Analysten (etc. etc.) führen die schwache Entwicklung in der Eurozone auf fehlende tiefgreifende Strukturreformen zurück.

Dem ist was abzugewinnen. Aber es wird selten klar gesagt, was für Reformen gemeint sind. Normalerweise Liberalisierung von Märkten, Flexibilisierung von Arbeitsmärkten, Effizienz der öffentlichen Verwaltung, Abbau von Staatsschulden und stärkere Fokussierung auf Bildung und Forschung. Natürlich, wer möchte nicht mehr Wettbewerb, effiziente Arbeitsmärkte ohne Insider-Outsider Probleme, eine schnelle und unparteiische öffentliche Verwaltung und geringe Staatsschulden.

Die Frage die sich aber dennoch stellt ist ob Strukturreformen nicht ein Projekt sind, welches erst in der langen Frist die erhofften Erträge (Wirtschaftswachstum) abwirft aber in der kurzen Frist dazu führt, dass der Gürtel enger geschnallt werden muss. Die Argumentation, dass es notwendig sei jetzt den Gürtel enger zu schnallen, damit morgen die Konjunktur wieder anspringen kann, wird von Gegnern gern als Liquidationismus bezeichnet. Keine Hände-Weg Liquidationismus wie in den 30er Jahren, sondern moderner Reform-Liquidationismus. Leider übersehen solche Argumente allzu oft, dass die selbst angebotsorientierte Auslöser zu Nachfragekrisen führen.

Wenn es sich aber in Europa nicht primär um eine Angebotskrise handelt, sondern um eine Nachfragekrise, wie mittlerweile die meisten Ökonomen denken? Sind Strukturreformen wirklich die richtige Medizin zum jetzigen Zeitpunkt? Viele nehmen das nicht in Bedacht, sondern argumentieren isoliert auf Basis von Prinzipien (wie Georg Erber zur Frage ob Deutschland Infrastrukturinvestitionen vornehmen soll). Prinzipien sind wichtig. Allerdings, kann zuviel Ordoarithmetik auch den Blick auf die Wirkung von Strukturreformen in Krisensituationen verstellen.

Es gibt dazu einige gegenteilige Meinungen: Coen Teulings argumentierte überzeugend, dass Strukturreformen und Konsoldierungspakete politökonomisch Substitute und nicht Komplemente sind, denn Strukturreformen führen nicht nur zu Gewinnern sondern auch zu Verlierern und Konsolidierungspakete sind nicht expansiv (1,2,3). Eggertson, Ferrero und Raffo argumentieren auf Basis eines theoretischen Modells, dass Strukturreformen in Krisensituationen zu Erwartungen einer fortgesetzten Deflation, höheren realen Zinssätzen und einer Schwächung der aggregierten Nachfrage führen kann. Gali und Monacelli dass Lohnflexibilität unter fixen Wechselkursen (wie in der Eurozone) zu aggregierten Wohlfahrtsverlusten führen kann. Branstetter, Taylor und Venancio zeigen für Portugal, dass die aggregierten Effekte von Marktliberalisierung sehr klein sein können.

Es gibt also mehr als berechtigte Fragezeichen hinter der Vorstellung, dass allein Strukturreformen die Zone retten können  und dass die Defizite bei der Wettbewerbsfähigkeit in der Zone allein auf Arbeitsmarktflexibilität und Marktzutrittsbarrieren zurückführbar sind ....

Donnerstag, 2. Oktober 2014

Wer mag Anleihen aus der Zone?

Auf FT Alphaville ist eine Post zu den Veränderungen in den Anleihenpositionen nach finanzieller Sektoren (nach der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung) der Eurozone. Der Betrag beruht auf einer Studie der Citi Bank. Interessant ist zum einen dass

About 39 per cent of all euro-denominated bonds by value were issued by euro-area sovereigns, but banks only have 32 per cent of their bond portfolio allocated to sovereigns. By contrast, pension plans and insurers have 48 per cent of their bond portfolio allocated to sovereigns, while foreign investors in euro area debt have 47 per cent of their assets invested in sovereign debt.
Die Veränderungen zwischen 2010 und 2014 sind besonders interessant, weil es grosse Diskussionen um carry trades von Banken gegeben hat (mit billigen Zentralbankgeld werden zinstragende Anleihen gekauft).

Hinweise zu den Grafiken: MFI sind die monetären Finanzinstitute (Banken), Pens. & ins. sind Versicherungen und Pensionsfonds und Inv. fund sind Investitionsfonds).
Die Quellen der Anleihen sind:
  • Non-Fins - Anleihen aus dem nichtfinanziellen Sektor (Unternehmen)
  • Insurance - Versicherungen
  • Gov. Bonds - Staatsanleihen
  • ROW - Anleihen aus dem ROW;
  • Other FIs - Anleihen anderer Finanzinstitute
  • MFI - Anleihen von Banken


Diese erste Grafik zeigt dass Banken ihren Anleihenbestand zwischen 2010 und 2014 ihre Anleihenposition deutlich zurückgefahren haben. Laut Citi ist haben damit die Banken der Eurozone das Gegenteil von dem getan, was US Banken in der selben Zeit getan haben. Wenn es strategische Carry Trade gegeben hat (mit billigen Zentralbankgeld hochverzinste Anleihen zu kaufen), dann in Staatspapieren seit 2012, nachdem die EZB die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (LTRO) angeboten hat. Allerdings zeigen die Zahlen hier, dass dies eher für einige Banken in der Peripherie gilt, nicht aber für das Eurozonen-Banksystem als ganzes. Der Zuwachs war im Vergleich zu anderen Sektoren eher gering. Citi schliesst daher:
banks have played only a relatively minor role in funding fiscal deficits. But most importantly, the increase in government bond holdings pales in comparison to the decrease in holdings of other bond types, principally other MFI bonds and bonds from foreign issuers.
Wer kaufte dann die neuen Anleihen der Eurozone, wenn es nicht die Banken waren? Pensionsfonds und Versicherer kauften einen grossen Teil, das Ausland (often foreign banks operating in Europe, as well as “non-consolidated entities of European banks”), und other investment holding (laut FT alphaville ist das vor allem die EZB). Bei Bankanleihen fällt auf, dass Banken diesen Anteil deutlich reduziert haben, Weniger Überkreuzanleihen wahrscheinlich. Allein Pensionsfonds und Versicherungen haben ihren Anteil an Bankanleihen aufgestockt.


Insgesamt schaut die Veränderung bei der Position von Anleihen aus der Eurozone (aus allen Quellen) von Quartal 1  2010 bis Quartal 1 2014 folgendermaßen aus:



Insbesondere ausländische Investoren (ROW) scheinen Anleihen aus der Eurozone zu mögen, denn vor allem das Ausland (ROW) hat seine Position in Bonds in der Eurozone ausgebaut, gefolgt vom Pensionsfonds und Investmentfonds in der Eurozone und dem Eurosystem. Zurückgefahren haben ihre Positionen insbesondere die Banken.

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Negative Nominalzinsen real gesehen

Auf FT Alphaville hat Isabella Kaminska einen einen interessanten Post über die negativen nominellen Einlagezinsen, die Banken nun seit einigen Monaten dafür zahlen müssen, dass sie ihr Geld bei der EZB parken dürfen. Im Post wird auf Peter Stella verwiesen, der argumentiert, dass der Effekt der negativen Nominalzinsen derzeit völlig überschätzt ist. Durch die durch die gesunkene Inflation werden die negativen Einlagzinsen mehr als wettgemacht. Er zeigt dazu dieses Bild:

In dieser Darstellung wird klar, dass die realen EZB Einlagezinsen wegen der schwachen Inflationsentwicklung 2013/2014 deutlich höher als 2009 bis 2012. Sind die negativen Einlagezinsen mehr Psychologie? Banker sollten nicht der Geldwertillusion unterliegen. Die realwirtschaftlichen Impulse sind daher auch wahrscheinlich eher gering.

Montag, 29. September 2014

BIP Trends in den USA und der Eurozone

Die Grafik ist von Brad Delong, der sie zu einem Kommentar von Josef Stiglitz zu den "europäischen Austeritätszombies" als Illustration einfügt. Sie zeigt eine dramatische Seitwärtsbewegung bei der BIP Entwicklung in der Eurozone seit der Krise (trotz des Eingreifens der EZB). Die Entwicklung in der Zone ist in den letzten Jahren deutlich schlechter als in den USA. Stiglitz schreib dazut:
Austerity has failed. But its defenders are willing to claim victory on the basis of the weakest possible evidence: the economy is no longer collapsing, so austerity must be working! But if that is the benchmark, we could say that jumping off a cliff is the best way to get down from a mountain; after all, the descent has been stopped.
But every downturn comes to an end. Success should not be measured by the fact that recovery eventually occurs, but by how quickly it takes hold and how extensive the damage caused by the slump.
Brad Delong, meint dazu, dass die Ökonomen ihre Überzeugung auf dem Marktplatz der Ideen marktnah bewerten lassen sollten. Sie sollten dann auch auch argumentieren warum ihre Prognosen nicht eingetreten sind  (z.b. Quantitative Easing führt zu Inflation, Austerität führt zu Wachstum etc.) bzw. was dazu geführt hat, dass sie ihre Einschätzungen revidiert hatten. Simon Wren-Lewis argumentiert, es gehe nicht nur darum was Ökonomen sagen, der öffentliche/journalistische Diskurs kann auch davon beeinflusst sein, weil zu wenige Ökonomen eine wichtige Rolle spielen.

Auf jeden Fall hat es einiges mit einer systematischen Überschätzung von Anreiz-Effekten und einer systematischen Unterschätzung von (negativen) Multiplikatoreffekten in einer Krise zu tun. Viele polit-ökonomische Statements beginnen damit, dass eine koordinierte fiskalpolitische Aktion auf europäischer Ebene nicht möglich/wünschenswert sei, weil die Interessen der Länder zu heterogen sind. Daraus wird gefolgt, dass Austerität die einzige Möglichkeit für Europa ist oder auch die Auflösung der Währungsunion. Während ich selbst das auch hin und wieder so gesehen haben (und manchmal immer noch so sehe), muss auch gesagt werden, dass diese Erkenntnis viel zu selten Ausgangspunkt für eine Suche nach vernünftigen und machbaren Alternativen war.



Freitag, 26. September 2014

Buchpreisbindung gegen die Tyrannei des Marktes?

Kurier, Standard (1,2) und Presse (1) berichten vom Vorhaben die Buchpreisbindung auch auf e-books auszuweiten. Der Standard schreibt:
Laut Ostermayer ist es "im Sinne der Vielfalt" wichtig, "Bücher zu schützen und ein Marktumfeld zu schaffen, das eine hohe Anzahl an Verlagen und Veröffentlichungen ermöglicht". Bis zum Weihnachtsgeschäft soll das Gesetz dahingehend geändert werden, "dass E-Books ausdrücklich in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes aufgenommen und die Ausnahme des grenzüberschre itenden elektronischen Handels gestrichen werden", so die Novelle im Wortlaut.
Aber ist das wirklich eine gute Idee, wenn wenige (Autoren, Verlage, grosse Buchhändler) auf Kosten vieler (Buchkonsumenten) besser gestellt werden? Wie Wikipedia schreibt gibt es in 11 europäischen Ländern Buchpreisbindungen, d.h. 17 Länder habe keine derartige Marktregulierung.

Was soll eine Buchpreisbindung erreichen? Die Befürworter bringen zumeist kulturelle Argumente vor. Ohne Buchpreisbindung würde würden weniger Bücher angeboten und Nischenprodukte würden zugunsten von Bestsellern verdrängt. Mit Buchpreisbindung würden Bestseller Nischenprodukte quersubventionieren und damit hochwertige Bücher produziert.

Allerdings gibt es dafür keine Garantie. Es müssen ja nicht die Bestsellerverlage jene sein, die Nischenprodukte auf den Markt bringen. Daher ist nicht sichergestellt, dass die "Monopolgewinne" für kulturell hochwertige Bücher verwendet werden. Der Buchhandel und die Autoren argumentieren, dass die Buchpreisbindung "ruinösen" Wettbewerb unterbindet und eine größere Vielfalt von Verlagen und Buchhändlern am Leben erhält und Autoren ein höheres Einkommen ermöglicht.

Aber stimmt das wirklich, dass eine Aufhebung der Buchpreisbindung zu einer Reduktion der Vielfalt führt? Verfügbare Studien sagen großteils nein. Nach dem Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz lies sich kaum was beobachten, ebenso wenig in Großbritannien wo die Buchpreisbindung 1997 fiel. Hanreich et al. argumentieren dass die Buchpreisbindung wegen hoher Fixkosten gerechtfertigt sein könnte, weil dann kulturelle Vielfalt bestehen bleiben kann. Allerdings wurde diese Studie vor dem Aufkommen von Amazon und e-books geschrieben. Heute sind kleine Buchhändler sind ohnehin nur dann gegen die online-Konkurrenz wettbewerbsfähig wenn sie über spezifische Kompetenzen verfügen. Es wird sogar argumentiert, dass die Buchpreisbindung in Deutschland Amazon subventioniert hat. Diese Kartellgewinne gehen auf Kosten der Konsumenten, die wegen der höheren Buchpreise wahrscheinlich weniger Bücher gekauft haben. Wahrscheinlich weniger Bestseller aber nicht nur. Amazon kann dadurch den Versandhandel mit anderen Produkten als Büchern quersubventionieren.

Somit erscheint die Buchpreisbindung nicht unbedingt die richtige Form zu sein um agressive Internethändler im Zaum zu halten. Hier kann letztlich nur das Wettbewerbsrecht helfen und keine Buchpreisbindung der Welt. Dies gilt insbesondere für e-books. Diese können ja auch von Internethändler oder gar Autoren selbst gemacht werden. Denn es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen e-books und normalen Büchern. Der Druck führt dazu, dass die Produktion von Büchern durch hohe Fixkosten charakterisiert ist. Es braucht Verleger und eine  relativ kostspielige und schwer zu organisierende Logistik . Dagegen hat die Produktion von e-books viel geringere Fixkosten. die Funktion des Verlegers, der die Vorselektion von Büchern übernimmt fällt im Internetzeitalter weg und der Vertrieb kann im Notfall auch über e-mail erfolgen. Andere Informationsbrooker können die Funktion der Verleger übernehmen, ohne dass sie unbedingt mit der Produktion von Büchern betraut sind. Das zeigt, dass die Ausweitung der Buchpreisbindung kaum ein wirksames Mittel gegen die Veränderung in der Buchproduktion ist. Wie der Standard schreibt hat Ostermayer (Bundesminister für Kunst, Kultur und Median) auch vor dies direkte anzugehen:
Im "Kurier" kündigt Ostermayer eine Anhebung der Verlagsförderung um zehn Prozent von zwei Millionen auf 2,2 Millionen Euro im Jahr und eine Ausweitung von Projektstipendien für Literaten von 40 auf 50 an.
Ich traue mich zu wetten, dass dies letztlich nur dazu führt, dass weiter Bücher gemacht werden, die ohnehin gemacht würden und Verleger größere Autos fahren (teuerere Kleider kaufen können sofern sie ohne Auto auskommen) können als ohne Förderung. Denn alle Subventionen (Buchpreisbindung oder direkte Förderung) führen zur Umlenkung von Ressourcen und zu Mitnahmeeffekten. Von einer Schinkenpreisbindung oder einer CD-Preisbindung redet keiner, dabei sind diese Artefakte auch kulturell hochwertige Produkte. Für die Vielfalt der Produktion sorgt die Nachfrage sofern die Fixkosten nicht zu einer tyranny of the market führen, wie von Joel Waldfogel für Bibliotheken, Restaurants und Radio nachgewiesen wurde.

Das e-book führt zu einem technologischen Wandel bei der Buchproduktion, wie er schon in der Musikwirtschaft eingetreten ist. Joel Waldvogel (ja schon wieder der) schreibt über die Digitalisierung im Musikbereich:

Although recorded music revenue has collapsed since the explosion of file sharing, results elsewhere suggest that the quality of new music has not suffered. One possible explanation is that digitization has allowed more firms to bring music to market using lower-cost methods of production, distribution, and promotion. Forces increasing the number of products released may allow consumers to discover more appealing choices if they can sift through the offerings. Digitization has promoted Internet radio and online music reviewers, providing alternatives to radio airplay as means for new product discovery. To explore this, the author assembles data on new music released between 1980 and 2010, and on particular albums’ sales, airplay on traditional and Internet radio, and album reviews at Metacritic since 2000. He documents that the total quantity of new albums released annually has increased sharply since 2000, driven by independent labels and purely digital products. Second, increased availability has been accompanied by reduced concentration of sales in the top albums. Third, new information channels change the number and kinds of products about which consumers have information. Fourth, more albums find commercial success without substantial traditional airplay. Finally, independent label albums account for a growing share of commercially successful albums.

Der technologische Wandel hin zu einer Produktionsstruktur mit geringeren Fixkosten (online statt CD oder Platte) hat zu einer geringeren Konzentration (Bestseller), mehr Diversität im Angebot und damit zu mehr unterschiedlicher Musik für Konsumenten geführt. Nur die grosse Musikindustrie leidet drunter, während exotische Interpreten, Autoren und Konsumenten Vorteile haben, sofern sie diese nutzen wollen und können.

Könnte es daher nicht auch so sein, dass die Konsumenten aufgrund niedrigerer Buchpreise (fehlende Buchpreisbindung) mehr und unterschiedlichere Bücher kaufen? Vielleicht auch solche österreichischer Autoren? Die Idee von Quersubventionen auf der Angebotsseite ist in der Regel der Konsumentensouveränität unterlegen. Niedrigere Preise könnten auch die Tendenz zum Zweit(e-)buch stärken.

Donnerstag, 25. September 2014

Die langfristige Verschiebung der Kreditvergabe von Banken hin zu Immobilienkrediten


Auf FT-Alphaville diskutiert Matthew Klein die Bedeutung von Kredit für Wirtschaftskrisen. Dabei wird vor allem auf das Arbeitspapier von Jorda, Schularik und Taylor Bezug genommen, die auf Basis von 200 Rezessionsepisonden in 14 Ländern zeigen dass a) Finanzkrisen höhere Outputverluste aufweisen als normale Rezessionen und b) dass auf kredit-intensive Expansionen in der Regel tiefere und längere Rezessionsepisoden folgen.

In diesem Zusammenhang ist die Veränderung der Kreditvergabe von Banken interessant. Wie Klein zeigt, veränderte sich für die meisten Länder die Kreditvergabe von Banken von der Kreditvergabe an Unternehmen hin zum Immobiliensektor. Während die Veränderungen für Finnland, Dänemark, Schweden sowie Deutschland weniger dramatisch sind, zeigt sich für andere Länder (Frankreich, Italien, UK, Japan und Spanien) eine deutliche Verschiebung zum Immobiliensektor. Hier ist die Darstellung:
Im Text wird das kritisch gesehen vor allem weil diese Expansion nicht durch die Entwicklung der Hauspreise gedeckt ist (zumindest in den angloamerikanischen Ländern).

Allerdings sollte dies nicht nur im Kontext von Krisen. Blasen und anderen nicht nachhaltigen Positionen der Finanzwirtschaft gesehen werden, wie im Beitrag von Klein geschieht. Diese Expansion kann auch etwas mit langfristigen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur zu tun haben (Unternehmen haben geringeren Investitionsbedarf wegen geringerer Opportunitäten, Oligpolisierung der Wirtschaft, Verschiebung hin zu intangiblen Anlagegütern die nicht gut durch Bankkredite finanziert werden können, Einführung der Eigenkapitalregulierung, niedrige Eigenkapitalunterlegung von Banken 2007 im Vergleich zu 1928 usw.) oder mit der positiven Seite von Kredit. Kredit ermöglicht es jenen die noch kein Geld haben Investitionen jetzt zu tätigen und morgen dafür zu zahlen. Die zentrale Funktion eines funktionierenden Bankensystems ist es Ersparnisse in Investitionen zu verwandeln. Die Verschiebung hin zum Immobiliensektor ist eine interessante Tatsache, die in vielen Diskussionen um die Kreditvergabe von Banken leider selten aufgegriffen wird (zumindest habe ich auf die Schnelle nichts gefunden).

Diese interessanten Zahlen sagen wenig darüber aus ob Finanzsysteme fragil oder stabil sind. Aggregierte Zahlen bieten Anhaltspunkte, aber um präzise interpretierbar zu sein braucht es oft Mikroanalysen auf Basis von Daten zu Banken, Krediten und Kreditnehmern. Für Österreich gibt es da die Finanzmarktstabilitätsberichte der OeNB. Albacete und Lindner haben hierzu festgestellt, dass in Österreich die Haushalte kaum eine Gefahr für die Bankenbilanzen und die Finanzmarktstabilität darstellen, sofern nicht nachfragewirksame Effekte der Überschuldung auftreten. So eine Geschichte erzählen Sufi und Mian überzeugend für die Finanzkrise in den USA. Aber das ist eine andere Geschichte ...

Dienstag, 23. September 2014

Ist Österreich wirklich auf einem Schlag um drei Prozent gewachsen? (Wowcwhabpc)

Auf der Standardhomepage überschlagen sich sich die Posts zum Artikel zur BIP-Umstellung mit dem Titel Österreich wächst auf einen Schlag um 9,5 Milliarden Euro in unglaublichen Argumentationen. Zurück zum Artikel Lukas Sustala schreibt:
Die Konjunkturlage trübt sich ein, doch die Statistik Austria hat am Montagabend der heimischen Wirtschaft zumindest einen statistischen Schub verpasst. Die Wirtschaftsleistung Österreichs lag gemäß der neuen Berechnung im Jahr 2013 bei 322,6 Milliarden Euro. Das sind um 9,5 Milliarden Euro mehr als mit der alten Berechnung. Damit macht das BIP einen statistischen Sprung von drei Prozent.
Die Presse ist da weniger kreativer und druckt den Text der APA ab wo steht:
Neue EU-Standards bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts erhöhen Österreichs Wirtschaftsleistung auf einen Schlag um 9,5 Milliarden Euro auf 322,6 Mrd. Euro im Jahr 2013. Unter anderem werden nun auch Ausgaben für Forschung & Entwicklung von der Statistik Austria als Investitionen miteinberechnet. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in Österreich von jährlich 1,9 Prozent zwischen 1995 und 2013 bleibt trotz Neuberechnung unverändert. Das errechnete BIP-Wachstum für das Vorjahr senkte die Statistiker um 0,1 Prozentpunkte auf 0,2 Prozent. 2012 blieb das BIP-Plus unverändert bei 0,9 Prozent, 2011 wurde es um 0,3 Prozentpunkte auf 3,1 Prozent angehoben.
Also es ändert sich das Berechnungssystem aber nicht die Wachstumsraten. Die Antwort ist also nein. Manchmal scheint journalistische Kreativität leider ein bisschen ein Feind der Wirklichkeit zu sein.

Wie die  Kurzzusammenfassung vom deutschen Statistikinstitut Destatis zeigt sind die wichtigsten Anderungen:
  • Forschungs- und Entwicklungsausgaben werden nicht mehr als Vorleistungen sondern als Investitionen betrachtet. Diese Änderung trägt der Tatsache Rechnung dass intangible Investitionen wie Forschung und Entwicklung heute genauso wichtig sind wie tangible Investitionen (Häuser, Maschinen oder betrieblich genutzte Fahrzeuge). 
  • Auch militärische Güter zählen nun als Investitionen. In Österreich nicht so wichtig, wie die Diskussion  ums Miltärbudget zeigt. 
  • Umklassifikation von Marktproduzenten zum Sektor Staat (in Österreich z.b.  ÖBB, Wiener Linien, einige Krankenhäuser). Dies führt zu einer Erhöhung, denn der Produktionswert wird im Sektor Staat mit den Kosten bewertet und nicht mit den subventionierten Marktpreisen. Dafür werden auch die Schulden zum Sektor Staat gezählt.
Das zeigt, dass die Revision nicht viel mit "Schönrechnen" zu tun hat, sondern mehr damit, dass das BIP die Wirtschaftsleistung besser darstellen kann. Auch im internationalen Vergleich. Was würde es uns nützen, wenn jedes Land sein BIP so berechnen würde wie es gerade opportun wäre. Kaum ein Vergleich wäre mehr möglich.

Die Frage, welche kritischen Stimmen zur Umstellung selten beantworten können, ist jene was durch das BIP gemessen werden soll. Steuerquoten können das nicht sein, ebensowenig Steuerquoten. Letztlich ist das BIP genauso wie die Zeitmessung ein Messkonzept mit verbundenen Standards. Nur wird nicht die Zeit sondern die Wirtschaftsleistung von Ländern gemessen. Wenn wegen einer Standardänderung die Sekunde plötzlich länger dauern würde, dann würde auch keiner behaupten, dass man jetzt schneller 100 Meter laufen kann.

Wie sich die Schuldenquote ändert, hängt davon ab was alles zum Sektor Staat dazugerechnet wird. Die Methodiker erwarten für Österreich ein ansteigen der Schuldenquote weil bisher privat klassifizierte Schulden als Staatsschulden gezählt werden. Dass die Schuldenquote der Hauptkritikpunkt der Kritiker zu sein scheint ist insofern erschreckend, als die Kritik sich nicht daran entzündet was mit dem BIP gemessen werden soll sondern nur eine Wirkung der Änderung kritisiert wird.

Was soll das BIP messen und wie soll es im Detail gemessen werden? Darüber liese sich vortrefflich argumentieren und streiten. Für Interessierte hat Eurostat die Dokumentation. Ohne die 778 Seiten gelesen zu haben würde ich sagen mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung soll die Entstehung, Verteilung und Verwendung die gesamte Wirtschaftsleistung real und nominell gemessen werden. Dazu gehörten letztlich auch illegale Aktivitäten, denn die führen ebenso zu Produktion, Einkommen und Konsum. Sollte was anderes gemessen werden, könnte man ja ein Brutto Staatsrelevantes Produkt oder ein  Brutto Schuldenrelevantes Produkt erfinden. Dieses wäre dann ein bisschen ein anderes Getier der offiziellen Statistik.

Sonntag, 21. September 2014

Synchrones Steursenken gegen die Krise?

Nachdem ich mich immer schwer mit der Vorstellung getan habe, wie ein fiskalpolitischer Impuls in Europa aussehen könnte, kommt jetzt ein ziemlich konkreter Vorschlag von den italienischen Ökonomen Giavazzi und Tabellini auf VoxEU.

Bei Fiskalpolitik dachte ich immer an größe Investitionsprogramme und Betonkeynesianismus (große staatliche Infrastrukturinvestitionen), der nicht immer angemessen und zielführend ist. In Zeiten wo Unternehmen wegen geringer Nachfrageerwartungen nicht investieren hat Investitionsförderung (Zuschüsse und Liberalisierung) hohe Kosten und geringe Effekte. Unternehmen nehmen die Förderung mit, investieren deshalb aber nicht mehr. Bei grossen Investitionsprojekten gibt es das Problem, dass viele Projekte kapitalintensiv sind und damit geringe unmittelbare Konjunktureffekte erzielen.

Giavazzi und Tabellini denken an Steuersenkungen. Steuersenkungen haben auch den Vorteil, dass sie im weniger für Fehlallokationen führen als Investitionsprogramme, wo Interessensgruppen stärker lobbyieren können (auch wenn Bauinvestitionen höhere Multiplikatoren zu haben scheinen).  Sie schlagen eine konzertierte Aktion von Steuersenkungen in den Euroländern vor. Sie starten von einer Diagnose die sich in ihrer kürze kaum unterbieten lässt Ende 2013 war:
  • Private consumption in the Eurozone was 2% below its 2007 level;
  • Private investment was 20% below the 2007 level;
  • Producers’ prices have been decreasing for over a year.
  • The only bright spot is the rise of exports by almost 10% since late 2013.
  • In the US, by contrast, GDP and private consumption are 6–7% above where they were six years ago, and investment too is above its pre-crisis level.
Diese Zahlen verdecken massive Heterogenitäten zwischen den Euroländern, wo es Österreich und Deutschland gut geht, während die Peripherie deutlich schlechter dasteht. Giavazzi und Tabellini argumentieren, dass die Europäischen Probleme primär auf eine Nachfrageschwächung in Folge der Krise 2008 zurückzuführen sind. Ihr Vorschlag ist einfach:
  • Alle Eurozoneländer sollen synchron eine Steuersenkung im Ausmaß von 5% des BIP durchführen. 
  • Den Ländern soll einige Jahre Zeit gegeben werden (drei bis vier) um das mit der Steuersenkung verbundene Defizit zu reduzieren (Wachstumseffekte, kalte Progression und Ausgabeneinsparungen). 
  • Um diese zusätzlichen Defizite während der Überganszeit zu finanzieren sollen die Mitgliedsstaaten langfristige Staatsanleihen ausgeben. 
  • Die EZB soll diese Staatsanleihen kaufen, ohne eine Sterilisation vorznehmen.
  • Die Zinsen sollen den EZB Eigentümern (Nationalbanken) als Seinorage zurückgegeben werden. 
Die Kombination von geldpolitischen und fiskalpolitischen Maßnahmen ist nach Giavazzi und Tabellini  einer reinen monetären Maßnahme überlegen (wie zum Beispiel Quantitative Lockerung). Sie argumentieren, dass die Quantiative Lockerung kaum zu zusätzlichen Krediten und privaten Ausgaben führen wird. Andererseits wären fiskalpolitische Impulse ohne geldpolitische Unterstützung unmöglich, weil die Staatsschulden vieler Länder bereits am oberen Limit sind.

Indirekte günstige Effekten wären auch ein schwächerer Wechselkursen, von denen die Europäische Exportindustrie profitieren würde. Die sich insgesamt daraus sich ergebende Inflation würde 
dazu beitragen den privaten und öffentlichen Schuldenüberhang abzufedern und der EZB dabei helfen das Inflationsziel von 2 % europaweit zu erreichen und  vielleicht kurzfristig drüberzuschiessen.

Wie Giavazzi und Tabellini  ausführen, ist das wichtigste Argument gegen eine solche Politik nicht ökonomisch sondern politisch. Die Diskussion über Multiplikatoren besagt, dass diese in Krisenzeiten besonders hoch sind (1). Deutschland (und wahrscheinlich/sicher auch Österreich) würden sich gegen eine solche Politik stellen weil sie gegen die in den Verträgen dargelegt grundlegende Idee der Trennung von Geld- und Fiskalpolitik verstößt (Schimpfwort: Transferunion) oder weil deutlich niedrigere Steuern auch Ausgabeneinsparungen im Sozialbereich zur Folge haben könnten. Ob Giavazzi und Tabellini da ein bisschen zu italienisch sein könnten, sei mal übersehen. Einsparungen bei Ausgaben werden nie gern gesehen, weil trotz aller Verwaltungsreformdiskussion, letztlich nur Leistungseinschränkungen kurz- wie langfristig zu nachhaltige Einsparungen führen werden.

Alternativen sehen sie aber im Moment keine. Ohne entschiedene Aktion würde die Eurozone würde weiterhin keinen nachhaltigen Konjunkturaufschwung sehen.

Diesen Vorschlag könnte im österreichischen Kontext auch deswegen sinnvoll diskutieren, weil ohnehin über eine Steuerreform nachgedacht wird, bei der ein Teil der Gegenfinanzierung aus Ausgabeneinsparungen kommen wird. Ob dann eine Umschichtung der Steuern (Vermögenssteuern) mittelfristig auch eine Rolle spielensoll, kann dann jedem Mitgliedsstaat offen gelassen werden. Idealerweise öffnet so eine Steuersenkung auch Möglichkeiten Strukturreformen anzugehen, die in Zeiten der Austärität nicht durchführbar sind, weil sie Charakteristiken von Konsoldierungspaketen aufweisen.









Mittwoch, 17. September 2014

Steuerreform, Selbstfinanzierung und Wirtschaftswachstum

Kaum jemand mag Steuern zahlen. Auch ich nicht. Und noch weniger mag man die kalte Progression, die Jahr für Jahr die Steuersätze antreibt. Interessanterweise wird sie gerade jetzt thematisiert, wo die Inflation im langfristigen Vergleich eh unterdurchschnittlich ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Wenn ein Steuersystem nicht inflationsindexiert ist, dann gibt es immer wiederkehrende Diskussionen um die Steuerreformen, die allein dem Ausgleich der kalten Progression dienen.

Wie jetzt wieder in Österreich. Einige fordern Steuerreformen, wo der Ausgleich der kalten Progression auch zu mehr Gerechtigkeit bei der Einkommensverteilung führen soll. Die jetzt vorgelegten Vorschläge von AK und ÖGB gehen in diese Richtung. Den Informationen aus den Zeitungen entnimmt man, dass es vor allem um die Entlastung kleinerer Einkommen gehen soll. Der ÖAAB dagegen möchte seine Mitglieder, d. h. den Mittelstand entlasten. Bei der Gesamtbetrachtung sollte man auch immer die Sozialabgaben mit einbeziehen (1).

Steuerreformen brauchen trotz kalter Progression Gegenfinanzierung. Nach ÖGB Vorschlag sollen die 6 Mrd. Steuereinsparungen (von ca. 43 - 45  Mrd. Einkommenssteuern) durch Vermögenssteuern (2 Mrd.), Verwaltungsreformen und das Abschaffen von Steuerprivilegien (2 Mrd.) und dem Kampf gegen die Schattenwirtschaft (1 Mrd.) finanziert werden. Keine Ahnung ob dies realistisch ist. Auch die Steuerreform selbst soll dazu was beitragen Wie der Kurier schreibt soll rund eine Milliarde der rund 6 Mrd. Steuerersparnisse durch die Steuerreform selbst finanziert werden.

Allerdings positionieren sich der ÖVP Wirtschaftsbund und der ÖAAB weiterhin gegen Vermögenssteuern. Ulrich Schuh vom industrienahen Forschungsinstitut ecoaustria spricht auch davon, dass eine Steuerreform auch obere Einkommen entlasten müsse damit sich eine positive Wirkung aufs Wirtschaftswachstum ergeben kann.

Aber haben Steuerreformen wirklich große Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum? Es wird manchmal argumentiert, dass niedrigere Steuern das unternehmerische Potential entfesseln würden, so auf der findet sich auf Homepage von Agenda Austria folgende Aussage:
Dabei brauchen Steuersenkungen so etwas (gemeint ist die Gegenfinanzierung) für gewöhnlich nicht, sie finanzieren sich weitgehend selbst. Wie etwa die Absenkung der Körperschaftsteuer von 34 auf 25 Prozent im Jahr 2005. Schon im ersten Jahr waren die Einnahmen höher als zuvor, drei Jahre später kassierte der Staat um ein Fünftel mehr KöSt als im Jahr 2004 – mit dem niedrigeren Steuersatz. Genauso wäre das auch bei einer spürbaren Senkung der hohen Steuern auf Arbeit: Steuermoral und Leistungsbereitschaft steigen, die Konsumfreude ebenso, damit auch die wirtschaftliche Dynamik und die Beschäftigung.
Sind also die Vorschläge der AK und des ÖGB zur Gegenfinanzierung zu pessimistisch und dienen nur dazu den Staat noch größer zu machen? Auf dem BLOG von Agenda Austria steht da aber noch:
Und sollte sich in der Staatskasse dennoch ein Loch auftun, gibt es ein weltweit erfolgreich erprobtes Mittel, dies zu stopfen: niedrigere Ausgaben der öffentlichen Hand. Wer nicht Steuerlasten umverteilen, sondern sie tatsächlich senken will, muss bereit sein, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren.
Ah. Schon ein wenig glaubwürdiger.

Ein Blick in akademische Literatur zeigt uns, dass die vollkommene Selbstfinanzierung von Steuerreformen eher in die Kathegorie moderne Märchen gehört. So schreibt Thomas Hungerford (2012) vom Congressial Budget Office in den USA:
The results of the analysis suggest that changes over the past 65 years in the top marginal tax rate and the top capital gains tax rate do not appear correlated with economic growth. The reduction in the top tax rates appears to be uncorrelated with saving, investment, and productivity growth. The top tax rates appear to have little or no relation to the size of the economic pie. 
Also eher Umverteilung (division of the pie) als Wachstum (size of the pie). Expliziter ist der Beitrag von Birch Sörensen, der für Schweden die Selbstfinanzierungsraten von Steuersenkungen analysiert hat. Das Ergebnis ist hier:


Diese Analyse schaut auf die langfristige Selbstfinanzierung, nicht kurzfristige konjunkturelle Effekte. Laut dieser Analyse haben Konsumsteuersenkungen den geringsten Selbstfinanzierungsgrad (22%) gefolgt von Steuern auf Arbeit (32,8 %). Unternehmenssteuern und insbesondere die Besteuerung von Ersparnissen hat langfristig negative Effekte. Interessanterweise kommt der stärkste Beitrag jeweils von den Arbeitseinkommen (auch bei den Unternehmenssteuern - das zeigt, dass Arbeit eh schon einen Teil der Unternehmenssteuern schultern muss).

In Birch Sörensens Analyse kommen die Selbstfinanzierungseffekte durch die Reduktion der Wohlfahrtsverluste der Besteuerung zustande, die dann reale Effekte haben können. Der Wachstumseffekt der Steuer ergibt sich daraus, dass Anreize verbessert werden. Die Gegenfinanzierung durch neue Steuern ist hier nicht berücksichtigt und die Wirkung durch mögliche Ausgabeneinsparungen (die über die Ausgabenkategorien hinweg unterschiedlich sind) auch nicht. Daher eigenen sich diese Ergebnisse nicht wirklich dafür genau einzuschätzen wie hoch die Selbstfinanzierungskraft der vorgeschlagenen Steuerreformen ist. Auch die Reduktion von Steuerprivilegien hat Anreizwirkungen die zu Steuervermeidung führen kann. Spezifische Steuern haben auch sehr spezifische Wohlfahrtsverluste und (Ab-)Lenkungseffekte. Letztlich müssen Steuerreformen in der Realität langfristig irgendwie gegenfinanziert werden (Ausgabensenkungen oder Einnahmeerhöhungen).

Die Selbstfinanzierung ist nicht unbedingt mit Wachstumseffekten gleichzusetzen aber jeder hofft auf langfristige Wachstumseffekte. Gale und Samwick von Brookings haben einen interessanten Überblick zu Steuern und Wirtschaftswachstum vorgelegt und schliessen ihre Diskussion der verfügbaren empirischen Evidenz mit der folgenden Einschätzung:
The argument that income tax cuts raise growth is repeated so often that it is sometimes taken as gospel. However, theory, evidence, and simulation studies tell a different and more complicated story. Tax cuts offer the potential to raise economic growth by improving incentives to work, save, and invest. But they also create income effects that reduce the need to engage in productive economic activity, and they may subsidize old capital, which provides windfall gains to asset holders that undermine incentives for new activity.
Alles ist möglich und alles hängt von Kompensation der Anreizwirkung ab. Interessant finde ich das Argument, dass sich negative Anreizwirkungen einer Steuersenkung ergeben können, wenn altes Kapital (z.b. Bestand) gegenüber neuem Kapital (Unternehmen) steuerlich besser gestellt wird.

Aus dieser Studie kann man eine Gegenüberstellung der Änderungen in den Höchststeuersätze und das Wirtschaftswachstum von entwickelten Ländern  im internationalen Vergleich herausgreifen. Hier braucht man mal keine komplexe Statistik um zu sehen, dass kaum ein Zusammenhang zwischen Senkung von Spitzensteuersätzen und langfristigem Wirtschaftswachstum gegeben ist:

Moral von der Gschicht: Die Selbstfinanzierung von Steuerreformen ist eher gering und hängt von der Struktur der Steuerreform ab. Nicht alle Steuern haben die gleichen Selbstfinanzierungseffekte oder die gleichen Effizienz- bzw. Wachstumswirkungen. Aus dem Grund wäre ich für eine explizite Berücksichtigung der Inflation im Steuersystem. Die Schweiz interessante Lösungen in Bezug auf die Indexierung von Tarif und/oder Abzügen auf Bundes- und Kantonalebene anzubieten. Dann könnten wir auch ohne (manchmal unnotwendig laute und lähmende) Reformdiskussion real immer gleich viel Steuern auf unser Einkommen zahlen.