Montag, 19. November 2012

Das Verhalten des IWF und drohende Finanzierungsrestriktionen

Die Krise in Europa ist eine kostspielige Angelegenheit für den Internationalen Währungsfonds, IWF. Kostspieliger als vergangene Eingriffe. Bislang war die Intervention in der laufenden europäischen Krise mit ca. 103 Mrd. US Dollar die teuerste der Geschichte des IWF. Zum Vergleich: Das Lending erreichte zum Höhepunkt der Asienkrise USD 33 Mrd. Ein Ende ist derzeit nicht in Sicht. Hier eine Aufstellung aus „The Economist“ in seiner Ausgabe vom 6. Okt.:



Natürlich muss man bedenken, dass das BIP dieser Länder stark variiert und ein guter Teil der Unterschiede im Lending-Volumen eben dadurch erklärt wird. Dennoch bleibt der besorgniserregende Eindruck, dass das angeschlagene Europa aus seinen Problemen trotz Hilfen nicht herauskommt. Das, obwohl deutlich mehr Hilfsgelder flossen als bei systemrettenden Eingriffen des „lender of last ressort“ zuvor. Ähnlich sonderbar scheint die atypische Wiederkehr der IWF-Hilfen. Griechenlands Finanzierungsprobleme konnten durch einen einmaligen Eingriff nicht gelöst werden. Auch nach dem zweiten Eingriff ist es nicht ausgeschlossen, dass weitere Gelder benötigt werden. Das gleiche gilt für Portugal. Einzig Irland scheint derzeit stabil.

Die Interventionen in der EU können für den IWF selbst Finanzierungsprobleme auslösen. Was droht ist das mittlerweile gut bekannte Muster der jetzigen Krise. Banken werden von Staaten, und manche Staaten wiederum von der Troika aufgefangen, dessen Teil der IWF ist. Hier muss gefragt werden, ob der IWF selbst in Finanzierungsengpässe kommt? So schreiben die IWF-Kritiker des Bretton Woods Projekts Folgendes:

Taking the lending as a percentage of a country's IMF quota at the time of the loan, a yardstick to gauge the level of Fund commitment, the programmes in Ireland (2,322 per cent of quota), Portugal (2,306 per cent) and Greece (3,751 per cent) are far beyond the previous record (1,938 per cent of quota for South Korea in 1997). The IMF loans to these three countries were also well above a mere "10 per cent" of total lending capacity. At the time of commitment they represented 36 per cent of IMF forward commitment capacity before any loans were made. Including other loans to European Union countries, these now account for nearly three quarters of the IMF's credit outstanding.

Was verändert das sonst so „nachhaltige“ Vorgehen des IWF (mit Blick auf Griechenland)?
  • Der IWF ist lediglich Juniorpartner in der Troika. Die EU-Kommission und die EZB, zwei Einrichtungen die keinerlei Erfahrungen mit Staatssanierungen haben, sind federführend. Interessanterweise scheint gerade der IWF, der jahrelang den Washington Consensus vertrat, derzeit die europäischen Austeritätsforderungen der anderen Partner etwas abzubremsen. Auch forderte Lagarde kürzlich mehr Zeit zur Umsetzung der Reformen in Griechenland. Ob das eine neue Rolle des IWF zeigt oder eine politisch motivierte Änderung der bisherigen Linie kann ich nicht sagen.
  • Politische Interessen stehen einer Sanierung im Weg. Der IWF steht mit Frau Christine Lagarde unter französischer Führung – bei ihrem Amtsantritt ließ sie verlautbaren, dass es einer europäischen Führung des IWF benötige, weil nur Europäer die Probleme Europas kennen. Der Schuldner wird somit aus den eigenen Kreisen beraten. Das ist eine höchst fragwürdige Konstellation, bei der Interessenskonflikte mitschwingen die einem (regulatory) capture ähneln.
So sieht das auch in der Praxis aus. Es wurden abermals unrealistische griechische Zahlen angesetzt. Beispielsweise dauerte es nicht lange bis es den Geldgebern schwante, dass die im ersten Hilfspaket veranschlagten Privatisierungsgewinne von USD 50 Mrd. wohl nicht erreicht werden können. Ähnliches gilt für das riesige Rüstungsbudget, das man offenbar nicht zur Diskussion stellt, vermutlich weil Zulieferbetriebe in den Geberländern Schaden nehmen könnten.

Trotz aller Kritik bleibt unterm Strich offen, ob man Griechenland tatsächlich hätte "effektiv" abwickeln können. Effektiver könnte man die Programme sicherlich gestalten. Sehr wohl wird sich aber bald die Frage nach der Finanzierbarkeit des IWF stellen. Was, wenn weitere Staaten in die Pleite zu rutschen. Wenn man die Performance des Funds fortschreibt, ist eine Rettung Spaniens unmöglich (über USD 200 Mrd. würden benötigt werden), von Italien ganz zu schweigen. Kommt eine Mittelaufstockung des IWF? Schwer zu sagen. Ab einem gewissen Kapitalbedarf wäre das vermutlich nicht durchführbar und somit das Ende der Fahnenstange. Ähnliches gilt für die diversen europäischen Rettungsschirme. Einzig Zentralbanken würden dann als „lender of last ressort“ in Europa auftreten. Das würde auch bedeuten, dass der IWF an der Sanierung entwickelter Volkswirtschaften scheitert, unter anderem aufgrund politischer Interessen Europas.

Dienstag, 6. November 2012

Die Grenzen des Wachstums ... eine vulgärökonomische Perspektive

Der Blog Wirtschaftswurm hat eine Blogparade mit dem Thema "Die Grenzen des Wachstums" einberufen. Nun davon verstehe ich wenig und ich misstraue allen langfristigen Prognosen, obwohl ich selber ab und zu gern welche abgebe.

Wie kann Wachstum begrenzt sein. Dazu ist es zunächst einmal gut zu schauen was Wachstum ist und wie es gemessen wird. Nachhaltiges Wachstum muss immer pro Kopf Einkommen (BIP per capita) sein. Die Wachstumsrate dieses Aggregats scheint sich in den Industrieländern in den letzten Jahrzehnten weniger dynamisch entwickelt zu haben. Allerdings hat sich das Wachstum in letzten 100 beinahe explosiv entwickelt. Irgendwie klar, denn mathematisch ist Wachstum eine exponentielle Funktion. Exponentielle Funktionen benötigen in Niveaus gemessen immer größere Zuwächse um die Wachstumsrate konstant zu halten. Wenn das BIP nicht unendlich groß werden kann, müssen die Zuwachsraten sich stabilisieren. Wenn die absoluten BIP pro Kopf Zuwächse konstant sind muss das Wachstum gegen 0 konvergieren. Wenn nicht werden wir das ökonomische Problem irgenwann gelöst haben (Replikatorenwirtschaft in Star Treck). So weit sind wir aber noch nicht.

Hier die reale Welt-BIP-Entwicklung pro Kopf in den letzten 2000 Jahren:

Sonntag, 4. November 2012

Target 2, Ungleichgewichte, Risiken und Identitäten

De Grauwe und Ji antworten auf Sinns Argument, dass Target 2 bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone Deutschland schwere Folgen für den Steuerzahler hätte. In Österreich ist das kein Thema, denn Österreich hat nicht in dem Ausmaß Target-Forderungen wie Deutschland.

Zu Target hat es viele Diskussionen gegeben (1,2,3,4). Einen vollständigen Überblick über die Beiträge findet man hier (großartig!). Dennoch noch einmal: Target 2 ist das Clearing System der Eurozone. Jede Bank hat bei der eigenen Nationalbank ein Konto mit Zentralbankguthaben. Kommt es zu grenzüberschreitenden Zahlungen wird das folgendermaßen durchgeführt: Wenn aus einem Land Zentralbankgeld in ein anderes Land überwiesen wird, entstehen Verbindlichkeiten und Forderungen. In dem Land aus dem das Geld versendet wird entsteht eine Verbindlichkeit und in dem Land in welchem das Zentralbankgeld ankommt entsteht eine Forderung. Bei den Zentralbanken im Eurosystem können die Bilanzen stehen bleiben, während alle anderen Nationalbanken am Ende des Tages den Saldo schließen müssen. Es werden beinahe alle Zahlungsströme über Target 2 verrechnet. Damit bilden sie einen Teil der Kapitalbilanz ab.

Solange die Eurozone bestehen bleibt, sind die Targetbilanzen problemlos, denn alle Notenbanken sind Teil der EZB. Die Targetbilanzen werden wieder ausgeglichen, wenn wieder Geld aus Deutschland in den Süden fließt. Wenn die Eurozone zusammenbricht könnten diese Targetüberschüsse für Deutschland problematisch werden. Allerdings hat Hans-Werner Sinn sie etwas weit gefasst als Kredite Deutschlands an den europäischen Süden interpretiert. Diese Interpretation ist wie ich das sehe nur zum Teil richtig. Sinn argumentiert im letzten Artikel im Wesentlichen, dass die Target-Bilanzen durch die Bankenhilfe der EZB generiert wurden. Durch die Möglichkeit Staatspapiere als Sicherheit bei der EZB zu verwenden ersetzte die EZB den Interbankenmarkt. Dies ermöglichte den Aufbau der Ungleichgewichte in Target 2 in Form von Kapitaltransfers oder Kapitalflucht nach Deutschland.

Klar und das sagen auch De Grauwe und Ji. Sie sagen aber, dass dies nicht die Risiken Deutschlands verändert habe. Denn der Aufbau der Target 2 Bilanzen stammt zum Teil aus Aussenhandelsüberschüssen Deutschlands. Die Aussenhandelsüberschüsse haben sich bereits vor der Krise aufgebaut, aber durch das Kreditvergabe deutscher Banken an den Süden (im Interbankenmarkt) nicht auf Target ausgewirkt. Erst mit dem Zusammenbruch des Interbankenmarktes - dessen Rolle die EZB übernommen hat - seien die Ungleichgewichte in den Targetsalden massiv gestiegen. Implizit haben die deutschen Banken haben ihre Kredite auf die Bundesbank überwälzt. Denn wenn die EZB die Rolle als lender of last ressort übernimmt, dann übernimmt auch die Bundesbank diese Rolle. Diese Rolle war notwendig, denn sonst hätten die Kreditvergabe an Unternehmen in Südeuropa nicht (einigermaßen) stabilisierten werden können (so interpretiere ich mal die Ergebisse von Giannone, Lenza, Pill und Rechlin).

Diese Erklärung macht intuitiv Sinn. Österreich hatte keine persistenten Aussenhandelsüberschüsse. Und die  Target2 Bilanzen blieben langweilig. Daher gibt es auch keine Target 2 Diskussion in Österreich.

Wenn die Argumentation von de Grauwe und Ji zutrifft, dann verändern sich durch den Anstieg der Target 2 Salden auch nicht die deutschen Risiken. Denn ob die Banken oder die Bundesbank die Risiken trägt ist letztlich einerlei. Bei einem Zusammenbruch der Eurozone ist es auch egal ob sie die EZB trägt. Tragen muss sie der deutsche Steuerzahler (im Fall der EZB anteilig). Und dann stimmt auch die Aussage:

Donnerstag, 1. November 2012

Koordinierte Sparpakete als Rezept zum (ökonomischen) Selbstmord?

In einem VOX EU Beitrag legen Dawn Holland und Jonathan Portes einen Betrag vor, der für Europa zeigt, dass eine konzertierte Sparpolitik zur Senkung der Schuldenquote (Schulden/BIP) unsinnig sei, denn sie führe zu einer Erhöhung der Schuldenquote.

Die Ergebnisse beruhen im wesentlichen auf modifizierten Multiplikatoren und wurden auf Basis eines ökonometrischen Modells ermittelt. In einem Modell, welches jedes Land separat geschätzt wird. Im Paper von Dawn Holland (pdf) sind Details und die Multiplikatoren für die "Baseline-Simulation" dargestellt. Die Multiplikatoren sind im Modell nicht fix vorgegeben sondern ergeben sich aus der Interaktion von Konsum, Aussenhandel usw. Hier sind die Erstrundeneffekte (Multiplikatoren) für eine Reduktion der Staatsausgaben bzw. Reduktion der Einkommenssteuern:


Österreich liegt dabei im unteren Mittelfeld. Eine Reduktion des Budgets im Ausmaß von 1% des BIP würde in normalen Zeiten zu einem Rückgang des BIP von 0.52% des BIP führen. Deutschland hat einen deutlich höheren Steuermultiplikator als Österreich. Auf Basis dieser Ergebnisse würde sich für viele Länder (außer vielleicht Griechenland und Spanien) ein Sparprogramm auf Basis von Staatsausgaben lohnen. Steuersenkungen hätten viel geringere Erstrundeneffekte. Die "geschlossene" Volkswirtschaft USA hat deutlich höhere Erstrundeneffekte.

Allerdings so Holland und Portes klammert dies aus, dass wir in nicht-normalen Zeiten sind:
  • Eine entgegenkommende Geldpolitik ist nicht möglich, normalerweise werden massive Budgetkonsolidierungen durch eine etwas lockere Geldpolitik für die Gesamtwirtschaft verträglicher gemacht. Dies ist derzeit kaum vorstellbar. Die Zinsgrenzen sind +/- erreicht und quantitatives Lockern findet bereits statt. 
  • Die Haushalte (insbesondere in den Krisenstaaten) sind liquiditätsbeschränkt (Arbeitslosigkeit, höhere Unsicherheiten). Folge ist, dass der Konsum nicht über die Zeit geglättet werden kann. Wie das normalerweise passiert.
Darüberhinaus hat eine konzertierte Sparanstrengung auch Netzwerkeffekte, denn das Sparen findet in stark miteinander vernetzten Volkswirtschaften statt (Importe und Exporte). Diese sollte die negative Wirkung der Sparanstrengungen noch verstärken. 

Sie schätzen dann ihr Modell mit den geplanten Konsoldierungsmaßnahmen 2011 bis 2013 für drei Jahren in zwei Szenarien: 
  1. Szenario 1 ist wenn die konzertierten Sparvorhaben unter normalen Umständen durchgeführt werden (entgegenkommende Geldpoltiik) und kaum liquiditätsbeschränkte Haushalte. 
  2. Szenario 2 sieht keine Änderung der Geldpolitik vor und ein größerer Teil der Haushalte ist liquididätsbeschränkt. 
Die Ergebnisse sind: Auswirkungen auf das BIP in den drei Jahren. Die Zahlen sind % sind Abweichungen vom BIP-Niveau der Basislösung (Lösung ohne Sparpakete):