Sonntag, 28. August 2011

Märkte sind überall

Eigentlich wollte ich über etwas anderes schreiben. Nachdem ich wie jedes Wochenende es nicht erwarten konnte Franz Schellhorn's Supermarkt zu lesen, war ich dann doch etwas enttäuscht. Nicht viel neues. Den Anti-Neoliberalisten wird vorgeworfen, dass sie den Neoliberalisten alles mögliche vorwerfen, wieder besserem Gewissen (insbesondere bei Stiglitz). Dabei ist der Neoliberalismus m. E. ein ziemlich inhaltsleerer Begriff. Schattenboxen gegen Schattenboxer sozusagen. Wobei Schellhorn wieder betont:

In Österreich schuften Arbeitnehmer bis August, um die Rechnungen ihres verschwenderischen Rundumversorgungsstaats begleichen zu können, der allerorts kostspielige Parallelstrukturen aufgebaut hat, um möglichst viele Parteigänger mit sicheren Jobs zu versorgen. Kritisiert wird aber nicht der maßlose Staat, sondern der angeblich so böse Neoliberalismus– in einem Land, in dem ab 53 in Pension gegangen wird und in dem die öffentliche Hand mit 52 Prozent Staatsausgaben gemessen am BIP der bei Weitem größte Wirtschaftsfaktor ist.
Ok. Ich hätte auch lieber weniger Staatsausgaben, aber ein funktionierendes Sozialsystem, Autobahnen und meinen Häuslbauerzuschüsse, die Krankenhäuser sollten auch in der Lage sein etwas komplizierte Operationen durchzuführen und ein Artzbesuch nicht gleich ein Vermögen kosten, die Universitäten sollen fähige Ingenieure, Betriebswirte und Zahnärzte in Praxis entlassen und die Schulen sollen auch nicht zu schlecht sein - für meine Tochter und meine Neffen ... Also wofür gibt der Staat sein Geld aus?
Die Statistik Austria gibt Auskunft. Hier die Werte für 2009:


Also ca. 42% für soziale Sicherung (davon rund 60% Alter), ca. 16% für das Gesundheitswesen (davon rund 57% für stationäre Behandlung) rund 11% für das Bildungswesen (davon rund 70% für die primäre und sekundäre Bildung/Ausbildung), rund 9,5% für wirtschaftliche Angelegenheiten (46 % davon für Verkehr und 28% für den Arbeitsmarkt) und 13,1% für die allgemeine öffentliche Verwaltung (davon rund 41% für Staatsschuldentransaktionen und 36% für die Verwaltung im engeren und weiteren Sinn - Ministerien, Verwaltung, Botschaften etc.)
Das heisst der österreichische Arbeitnehmer arbeitet dafür, dass Dienstleistungen angeboten werden, für die es in Österreich im wesentlichen kaum einen Markt gibt. Es gibt Berufenere als mich, aber für mich sieht das nach nicht allzuviel Spielraum aus um von 52% auf die wahrscheinlich erträumten 38% zu kommen, ohne drastische Kürzung der Leistungen.
Diese Leistungen müsste der österreichische Arbeitnehmer, wenn er sie nicht über Steuern bezahlen würde, am Markt zukaufen. Ob das im Einzelfall (und besonders für den durchschnittlichen Arbeitnehmer) billiger ist als die staatlich organisierte Bereitstellung, darüber kann man sich im sicher Einzelfall streiten. Bei der Gesundheitsfürsorge sieht das nicht so aus. Die USA haben die höchsten Gesundheitskosten. Auch dann, wenn man in Österreich die Universitätskrankenhäuser aus dem Universitätsbudget ins Gesundheitswesen transferiert. Allerdings muss gesagt werden, auch in Österreich sind Effizienzgewinne und Einsparungspotentiale drinnen. Und auch in Zukunft marginale Steueranpassungen - vielleicht einmal solche die für die kalte Progression entschädigen?

Das Zerrbild des maßlosen Staats ist ideologisch gefärbt. Und das ist es was ich an Schellhorn's Supermarkt so mag: den Twist wie man es wieder "richtig" stellen kann. Früher war es für Schellhorn evident, dass die ursächliche Schuld an der Krise die Geldpolitik der Federal Reserve war. Nur scheint dem nicht so gewesen zu sein. Jetzt sind die in Zeiten in denen über die Verhältnisse gelebt wurden angehäuften Staatsschulden Schuld an der europäischen Krise. Nur trifft diese Diagnose allein auf eines der Krisenländer wirklich zu: Griechenland. Alle anderen Beispiele sind eher Bankenkrisen oder über lange Zeit ineffiziente Finanzmärkten geschuldet. Warum reagiert der Markt auf die italienische Staatsverschuldung erst heuer, wenn das Problem ein strukturelles ist? Der Anstieg der Staatsverschuldung in Italien im Zuge der Krise war moderat. Und mich überzeugt diese Argumentation nicht: In den Fällen wo der Markt so ein Sensibelchen ist, dann kann nicht davon ausgegangen werden, dass er gleich gut funktioniert wie bei Tankstellen, Zement, Banken oder grenzüberschreitenden Roaming (insbesondere bei Datendiensten) *** grins ****.

Und dann war doch noch diese Post auf Stumbling und Mumbling über den Zweck der Kolumnistenten, dessen zentrale Aussage es ist, dass die Aufgabe der Kolumnisten es nicht notwendigerweise ist die Wahrheit zu schreiben sondern - genuin mikroökonomisch gedacht - das zu schreiben, was den Lesern der spezifischen Zeitschrift "ideologisch" am Herzen liegt:
Newspapers are businesses like any other. And the function of a business is to give its customers what they want. And in many cases, what the customers want is not the “truth” but the comfort that they are right.
(...)
I’m making two points here. First, the culture of science - which requires that our beliefs be held sceptically and tested against the evidence - is weak against the culture of ego, which requires that our self-esteem be boosted by being told that we are right.
Secondly, given this cultural background, there is a tension between market forces and the promotion of reasoned public discourse. Market forces require that our prejudices be confirmed, but reasoned discussion requires that they be challenged (...)
Märkte sind überall.

2 Kommentare:

  1. Dass die Leute jene Medien konsumieren, die ihre eigenen Meinungen und Vorurteile bestätigen, ist eine von Medienwissenschaftlern häufig aufgestellte These, die auch schon oftmals verifiziert werden konnte (*).

    Die Beschreibung dieses Verhaltens als “genuin mikroökonomisch“ scheint mir jedoch nur auf den ersten Blick zutreffend.

    Um die Bestätigung der eigenen Meinung kann es nicht gehen, denn abgesehen davon, dass der Homo oeconomicus mE über den Bedarf an solch profaner Selbstbestätigung erhaben ist, hat er sich ja schon aufgrund aller verfügbaren Informationen eine rationale Meinung gebildet. Wozu soll hier eine Bestätigung vonnöten sein?

    Um Informationsgewinn oder Überprüfung der eigenen Meinungsbildung kann es auch nicht gehen, sonst würden die Menschen nicht jene Medien konsumieren, die ihnen erzählen, was sie ohnehin schon wissen.

    Und besonders witzig wird das ganze ja dadurch, dass die Leute durch das Bedürfnis bestätigt zu werden ja die Anreize für die Medien selbst schaffen, ihnen nach dem Mund zu reden. Sie sorgen also bei vollem Bewusstsein selbst für verzerrte Berichterstattung und Analysen. Andererseits ist das “Medium“ ja auch nicht neutral. Eigentümer, Herausgeber, Redakteure verfolgen eigene Interessen. Vielleicht dient die Suche der Medienkonsumenten ja dem Ausgleich dieser Interessen.

    Spannende Fragestellungen, wie ich finde.

    Gruß
    Commandante

    (*) Ich bin hier eine ebenso seltene wie löbliche Ausnahme, denn ich lese Deinen Blog obwohl ich nie Deiner Meinung bin.

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  2. @commandante: danke. Natürlich ist die These zunächst einmal ein Gebiet der Medienwissenschaftler und diese haben in der Regel neben Theorien auch empirische Bestätigungen von denen ich nichts weiss.

    Das Medium nicht neutral weil es Käufer hat und Besitzer. Ein neues WP aus den USA zeigt, dass die Zeitschriften in der Regel sozial (Gay rights, Minderheiten) liberaler sind als die Wählerschaft aber ökonomisch rechter (Mindestlöhne etc.) als die Wähler. Könnte mit Besitzern zusammenhängen oder der "Klassenzugehörigkeit" der Journalisten selbst ... auf jeden Fall eine interessante Frage.

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